Seite - 19 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Bild der Seite - 19 -
Text der Seite - 19 -
19Was
bisher geschah: Zeitungsbilder in der Forschung
ser „Bilderflut“. „In den Illustrierten“, notiert 1927
Siegfried Kracauer, ein scharfer Kritiker der popu-
lären Bildpresse, „sieht das Publikum die Welt, an
deren Wahrnehmung es die Illustrierten hindern.
(…) Noch niemals hat eine Zeit so wenig über sich
Bescheid gewußt. Die Einrichtung der Illustrierten ist
in der Hand der herrschenden Gesellschaft eines der
mächtigsten Streikmittel gegen die Erkenntnis. Der
erfolgreichen Durchführung des Streiks dient nicht
zuletzt das bunte Arrangement der Bilder. Ihr Neben-
einander schließt systematisch den Zusammenhang
aus, der dem Bewußtsein sich eröffnet. Die ‚Bildidee‘
vertreibt die Idee, das Schneegestöber der Photogra-
phien verrät die Gleichgültigkeit gegen das mit dem
Sehen Gemeinte.“24 Der Gruppe von Skeptikern, die
die fotografische Massenpresse kritisieren, steht
eine Gruppe von Befürwortern gegenüber, die die
fotografische Massenreproduktion begrüßt und ihre
technischen Möglichkeiten publizistisch und künst-
lerisch ausreizen wollen.25 Diese Debatten pro und
kontra illustrierte Massenpresse, die in der Zwischen-
kriegszeit einsetzen, markieren auch den Beginn
der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der
Pressefotografie. Ab den 1930er Jahren erscheinen,
von unterschiedlichen Fachrichtungen her argumen-
tierend, die ersten umfangreicheren Publikationen zu
diesem Gegenstand. Rückblickend lassen sich mehre-
re Forschungsstränge identifizieren.26
Am frühesten nehmen sich jene Disziplinen des
Themas an, die Zeitungen als gedrucktes Massen-
medium in den Mittelpunkt des Interesses rücken,
etwa die traditionelle Zeitungswissenschaft27, die äl-
tere Publizistik28, aber auch die frühe amerikanische
Mediengeschichte.29 Sie beschäftigen sich mit den
sozialen und ökonomischen Entwicklungen der Bild-
presse, aber nur am Rande mit den Fotografien und
den Fotografen selber. Die Entstehung und Herkunft
der Bilder, die Ästhetik ihrer Präsentation und die
Formen der Rezeption werden nicht oder kaum un-
tersucht. Ebenso wenig setzen sich diese Autoren mit
konkreten Bildreportagen und ihrem Verhältnis zu
historischen oder kulturellen Ereignissen bzw. Ent-
wicklungen auseinander. Umgekehrt beschäftigt sich
die ältere (vor allem technikhistorisch orientierte) Fo-
tografiegeschichte fast ausschließlich mit den Bildern selbst, kaum aber mit dem publizistischen und gesell-
schaftlichen Umfeld der Pressefotografie. Sie ist we-
der am gesellschaftlichen und ökonomischen Apparat
Zeitung noch an den politischen, kulturellen und äs-
thetischen Folgen einer neuen Form von illustrierter
Massenpresse interessiert.30 Die Vertreter dieser Rich-
tung untersuchen vor allem die Geschichte der (tech-
nischen) Reproduktionsmöglichkeiten von Pressebil-
dern. Und auch die jüngere, stärker kunsthistorisch
orientierte Fotografiegeschichte, die um die Mitte des
20. Jahrhunderts u. a. mit den Arbeiten von Helmut
Gernsheim und Beaumont Newhall einsetzt, widmet
in den ersten Jahren der Entstehungsgeschichte der
Pressefotografie nur verhältnismäßig wenig Raum.31
Erst in den letzten Jahren entstanden im Umkreis
der Kunstgeschichte einige wichtige Arbeiten zur
Pressefotografie, die sich schwerpunktmäßig mit
den gedruckten Bildern beschäftigen.32 Die damit
verbundene signifikante Aufwertung der gedruckten
Fotografie setzt sich etwa in der jüngeren Fotobuch-
forschung fort, die in den vergangenen Jahren große
Fortschritte gemacht hat.33 Schließlich ist auch die
Geschichtswissenschaft zu nennen, die sich in jüngs-
ter Zeit verstärkt mit dem Thema Pressefotografie
auseinandersetzt.34
Auch wenn sich der Mainstream der Kunstge-
schichte den medien- und kulturhistorischen Aspek-
ten der Pressefotografie immer noch recht zaghaft
nähert, tragen fotohistorisch arbeitende Kunsthis-
toriker dennoch wesentlich dazu bei, einzelne Fo-
tografen als Künstler zu entdecken und ihre Werke
im Museum auszustellen. Diese in Ausstellungen
gewürdigten „Star-Pressefotografen“ werden häufig
als herausragende Einzelkünstler präsentiert, die re-
produzierte Fotografie steht gegenüber den (oft erst
jüngst wiederentdeckten) Originalabzügen, den so-
genannten Vintage Prints, deutlich im Hintergrund.
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe teilweise sehr
guter kunsthistorischer Studien zu einzelnen Pres-
sefotografen.35 Fast durchweg stehen Vertreter der
Pressefotografie im Zentrum der Aufmerksamkeit,
die in der Zwischenkriegszeit (oder in der Zeit nach
1945) gearbeitet hatten. Studien zu frühen Fotografen
(die auch vor 1914 tätig waren) sind dagegen immer
noch rar.36 Anscheinend hat der lange kultivierte
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang