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21Wechselwirkungen
Pressefotografen Lothar Rübelt53 (Abb. 8) gibt es hier
große Forschungslücken. Lediglich die Geschichte der
sozialdemokratischen Bildpublizistik ist vergleichs-
weise gut erforscht.54
Wechselwirkungen
Pressefotografien sind in der Regel komplexe
Dokumente, die nicht eindimensional beschreibbar
sind. Je nach Blickwinkel können sie gesellschaftspo-
litische Ereignisse festhalten, sie können aber auch
als ästhetische Produkte betrachtet werden. In jedem
Fall sind sie kommerzielle Waren in einer kapitalis-
tischen Bilderzirkulation. Denn Pressefotos gelangen
nicht zufällig in die Redaktionen. Sie werden herge-
stellt, um an Zeitungen (oder Fotoagenturen) verkauft
und schließlich im Kontext anderer Bilder und Tex-
te gedruckt zu werden (Abb. 9). Diesem komplexen
Gefüge von Produktion, Reproduktion, Verbreitung
und Ästhetik von Bildern in der illustrierten Presse
will ich mich auf den folgenden Seiten auf mehreren
Ebenen nähern: Einerseits beschäftige ich mich mit
der Geschichte, der Ökonomie und der kulturellen Be-
deutung der Zeitungen und Magazine. Parallel dazu
untersuche ich die Ästhetik der Seitengestaltung, die
visuelle Sprache der Text-Bild-Erzählungen und ihre
mögliche Rezeption. Ergänzend dazu werde ich auf
die Rolle der Fotografen, ihren biografischen Hinter-
grund, ihre Themenwahl, Arbeitsweise und Ästhetik
eingehen. Aber auch die Vertriebswege, die Logistik
und der Verkauf von Bildern, etwa über Bildagentu-
ren, werden näher beleuchtet.55 Schließlich möchte
ich die fotografischen Bilder in einen Dialog mit den
politischen und gesellschaftlichen Hintergründen,
also mit der Geschichte, bringen. Im Sinne einer
produktiven Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der
Pressefotografie ist es notwendig, all diese Fragerich-
tungen eng miteinander zu verzahnen.
Um diesen Wechselwirkungen auf die Spur zu
kommen, werde ich immer wieder Untersuchungs-
ausschnitte, Zeiträume und Fokus ändern. Auf diese
Weise werden thematische Fallstudien neben histo-
rischen Längsschnitten zu stehen kommen. Die Ar-
beit einiger Fotografen wird aus unterschiedlichen
Perspektiven beleuchtet. Wenn wir die Ergebnisse Abb. 9 „Wie das
Wiener Ma-
gazin entsteht“. Die Zeitschrift
verlässt
gefalzt
und
geheftet
die
Rotationsdruckmaschine.
Wiener Magazin, Heft 2, Februar
1932,
Foto: Fotoagentur Poly-
phot.
dieser Überblicks- und Detailstudien miteinander ver-
binden, sollte es möglich sein, die Zusammenhänge
zwischen Politik, Gesellschaft und bildlichen Mas-
senmedien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
besser zu verstehen. Vor allem aber wird man in der
historischen Rekonstruktion der politischen, ästheti-
schen und kulturellen Entwicklungen dieser Periode
lieb gewonnene Gemeinplätze überdenken müssen:
etwa die Annahme, dass die textfixierte Hochkultur
das unumstrittene Leitmedium sei, innerhalb dessen
sich das kulturelle Selbstverständnis eines Staates
bzw. Landes artikuliere.
Die Verlagerung der Untersuchung von den Text-
hin zu den Bildquellen, von der sogenannten „Hoch-
kultur“ zur Populärkultur, weist in eine neue Rich-
tung. Schon sehr früh, jedenfalls früher als oft
angenommen, etabliert sich, neben der relativ klein-
räumigen, textlastigen Zeitungs- und Zeitschrif-
tenöffentlichkeit, eine ebenso komplexe, weitaus
populärere Bildöffentlichkeit. Diese frühe Form der
Öffentlichkeit, die mindestens ebenso viel der Sehn-
sucht nach Sensationen wie dem Bedürfnis nach
sachlicher Berichterstattung verdankte, scheint heute
weitgehend vergessen zu sein. Das hat nicht zuletzt
damit zu tun, dass die Zeugnisse dieser Öffentlich-
keit, die Bilder, die in der auflagenstarken populäre
Presse erschienen, bisher erst wenige Historiker
gefunden haben. Mit diesem Buch will ich ein lange
vergessenes Thema zurück in die Öffentlichkeit holen
und zugleich ein faszinierendes Kapitel der Fotogra-
fie- und Kulturgeschichte aufschlagen.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang