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25Fotografisch
illustrierte Wochenzeitungen
auf populistische, oft reißerische Lokalberichterstat-
tung und erobert seinen Platz mit aggressiven Wer-
befeldzügen (anfangs wird es kostenlos an alle Haus-
halte verteilt).6 Bald folgen diesem Konzept weitere
Tageszeitungen, etwa im Jahr 1900 die Kronen-Zeitung.
Auch Das interessante Blatt gehört, im Bereich
der Wochenblätter, zu dieser neuen, populären Zei-
tungsgeneration. Seine Zielgruppe ist die Masse des
Bürger- und Kleinbürgertums, weniger die gebildete
Elite und auch nicht die Arbeiterschaft. Das Ziel der
Zeitung ist nicht die Anhäufung trockener Textnach-
richten aus der hohen Politik, der Wirtschaft und der
Kunst. Vielmehr, so heißt es in einer Anzeige in ei-
gener Sache, sei es ihr Anspruch, „das Interessante
aus Nah und Fern, das Sensationelle in Wort und Bild
zu sammeln und zur Belehrung und Unterhaltung in
Familie und Haus zu tragen“7. Das neue Wochenblatt
gibt den Bildern den Vorzug vor den Texten. Seine
Nachrichten sind immer auch Sensationen. Die The-
men sind: „Episoden aus dem Leben unserer Tage,
größere Katastrophen, bedeutende Festlichkeiten,
Länder- und Völkerkunde, selbst aus den entferntes-
ten Welttheilen, Sportbilder, theatralische Vorgänge,
heldenmütige Thaten, Unglücksfälle, Verbrechen
usw.“8 Der Serienmörder Hugo Schenk passt bestens
in dieses Themenspektrum.
Das interessante Blatt hat mit seinem populären
Kurs, der sich deutlich von der trockenen gutbürger-
lichen Tagespresse abhebt, bald großen Erfolg. Der
Umfang steigt, ebenso der Anteil der Anzeigen und
natürlich auch die Auflage – besonders dann, wenn
die Titelgeschichte reißerisch ist. Das Rezept – we-
nig Politik, viel Lokalberichterstattung, Sensationen,
Unterhaltung und Werbung – ist nicht ganz neu.
Sigmund Auspitzer entlehnt es zum Teil von den so-
genannten „Sonn- und Montagsblättern“, die ab den
1870er Jahren auf den Markt kommen und am Beginn
einer auflagenstarken Boulevardpresse stehen. Ande-
rerseits orientiert er sich aber auch, etwa in Format
und grafischer Aufmachung und dem Einsatz von
Bildern, an den älteren, meist behäbigeren Familien-
blättern und Wochenillustrierten, deren Blütezeit in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegt.9 Im Un-
terschied zu diesen setzt er viel stärker auf wochen-
aktuelle Nachrichten und Sensationen. Die mediale Zwitterstellung zwischen konservativem Familien-
blatt und moderner Bilderzeitung ist dem Interessan-
ten Blatt (wie auch anderen illustrierten Wochenzei-
tungen) noch Jahre nach seiner Gründung deutlich
anzusehen. Während sich das Blatt im Innenteil recht
bedächtig und Schritt für Schritt in Richtung einer
modernen fotografisch illustrierten Wochenzeitung
entwickelt, hält sie auf dem Umschlag gut ein halbes
Jahrhundert lang, nämlich bis zum Jahr 1939, an der
traditionellen Titelvignette fest, wie sie bei Familien-
blättern des 19. Jahrhunderts üblich ist (Abb. 2).
Fotografisch illustrierte Wochenzeitungen
Auch im Bereich der Wochenzeitungen zeichnen
sich ab den 1890er Jahren tief greifende Umbrüche
ab. Neben den etablierten, textlastigen Journalen Abb. 2 „Kaiserin Elisabeth
in Genf ermordet“. Das inter-
essante Blatt, 15. September
1898, Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang