Seite - 39 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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39Vom
Atelier zur Zeitung
ihre Bilder künstlerisch aufzuwerten, indem sie ihre
Abzüge auf teuren und exklusiven Papieren anbie-
ten und ästhetisch innovative Bildlösungen favori-
sieren. Es kommt aber auch zu künstlerischen Ab-
spaltungstendenzen. Eine Reihe von meist betuchten
Amateurfotografen sieht die Gefahr nicht nur in den
massenhaften Zeitungsbildern, sondern auch in der
„schablonenhaften“ Atelierarbeit. Sie setzen sich da-
her öffentlichkeitswirksam von der kommerziellen
Fotografie ab und gehen eigene künstlerische Wege.
Die Pioniere der kunstfotografischen Richtung, auch
Piktorialismus genannt, distanzieren sich um die
Jahrhundertwende vom angeblichen „Mittelmaß“,
indem sie sich – nach englischem Vorbild – zu exklu-
siven, aristokratischen Zirkeln zusammenschließen.4
Diese zahlenmäßig relativ kleinen, aber lautstark
agierenden Gruppen sind nicht von aufrührerischen,
revolutionären Vorhaben geprägt, im Gegenteil. Ihre
Ziele sind konservativer Natur. Sie wenden sich ge-
gen die massenmedial allgegenwärtige radikale Be-
schleunigung und Ausweitung der Fotografie. Die
Neuerer sind explizite Gegner der fotografischen
Massenkultur.
Vom Atelier zur Zeitung
Die Spaltung in Atelier- und Pressefotografie
schlägt sich um 1900 auch im Image der fotografi-
schen Berufe nieder. Während der Atelierfotograf
über die Lage seines Studios, das Ansehen seiner
Klientel, eventuelle Titel (z. B. k. u. k. Hofphotograph)
und andere Attribute durchaus symbolischen Kredit
anhäufen kann, ist das Image des Pressefotografen
von Anfang an eher schlecht. Er hat unangenehme
tägliche Kärrnerarbeiten zu erledigen, muss bei je-
dem Wetter hinaus ins Freie, ist mit seiner schweren
Ausrüstung ständig unterwegs und steht unter einem
enormen Zeitdruck. Er produziert schnelle, vergäng-
liche Bilder. Die erste Generation österreichischer
Pressefotografen arbeitet, wie eingangs ausgeführt,
noch nicht ausschließlich im Freien, sondern steht
noch mit einem Fuß im Atelier. Ein Teil der Aufträ-
ge – etwa Porträts, gelegentlich aber auch gestellte
Bewegungs- und Sportbilder – wird noch in geschlos-
senen Räumen ausgeführt. Die festen Arbeitsräume garantieren nicht nur ein kontinuierliches Einkom-
men, sie sind auch die Arbeits- und Laborräume, die
für Zeitungsaufträge genutzt werden können.
Eine ganze Reihe von Atelierfotografen beginnt
vor und um 1900 für die illustrierte Presse zu arbei-
ten, manche veröffentlichen nur gelegentlich, ande-
re häufig in den Zeitungen. Die bisher vorliegenden
biografischen Informationen über die frühen öster-
reichischen Pressefotografen sind sehr dürftig. Viele
der Pioniere waren bislang nicht einmal namentlich
bekannt, denn die Pressefotografie galt lange Zeit als
billiges, populäres Stiefkind in der Erforschung der
Fotografie. In anderen Fällen sind zwar die Namen
bekannt, aber diese Fotografen wurden bisher aus-
schließlich als Atelierfotografen gesehen. Ihre Pres-
searbeit wurde nicht zur Kenntnis genommen. Erst in
den letzten Jahren beginnt sich diese Haltung zu än-
dern. In der vorliegenden Arbeit wird zum ersten Mal
der Versuch gemacht, die fragmentarischen Überlie-
ferungen zusammenzustellen und zu ergänzen.
Im Folgenden werden die wichtigsten Pioniere der
österreichischen Pressefotografie kurz vorgestellt und
eingeordnet, weitere biografische Details finden sich
im Anhang des Buches. Die Forschung zum Thema
liefert kein homogenes, geschlossenes Bild, sondern
eine erste Annäherung, die durch weitere Recherchen
ergänzt werden muss. Ein Großteil der Informationen
wurde aus der Analyse der zeitgenössischen illust-
rierten Presse bzw. zeitgenössischer Fachzeitschrif-
ten gewonnen, weitere biografische Angaben stam-
men aus den Melde- und Gewerbeunterlagen. Ergänzt
wurden diese Daten durch Informationen aus der
Sekundärliteratur sowie aus der biobibliografischen
Datenbank, die Timm Starl zusammengestellt hat.5
Charles Scolik sen. etwa, der in Wien ein gut ge-
hendes Atelier betreibt, arbeitet seit 1893 regelmäßig
für illustrierte Zeitungen. Man kann sich diesen et-
was beleibten Herrn schwer als wendigen, abenteu-
erlustigen Pressefotografen vorstellen. Tatsächlich ist
er in seinen Arbeiten für die Zeitung ein Spezialist
für Innenaufnahmen, er liefert lebendige Porträts
von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, widmet
sich aber auch gesellschaftlichen Ereignissen. Das
Themenspektrum seiner Fotoaufträge für die Presse
ist breit, es reicht von Künstler- und Politikerporträts
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang