Seite - 47 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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47Internationalisierung
der Pressefotografie
1900 zu den führenden Fotohandelsfirmen in Wien.
Lechner verfügt seit der zweiten Hälfte der 1890er
Jahre über eine Reihe fest angestellter Fotografen, die
aktuelle Tagesereignisse in Momentaufnahmen fest-
halten. Diese werden in unterschiedlichsten Formaten
vermarktet: als Bildpostkarten und als Einzelabzüge,
als Stereoaufnahmen, Illustrationen für Broschüren
und Bücher – und natürlich als Fotovorlagen für die
illustrierte Presse.16 Lechners Pressebilder sind in
der Regel ästhetisch eher anspruchslose Gesamtan-
sichten, die das Geschehen im Überblick zeigen. Eine
Spezialität der Firma sind breit angelegte Gruppen-
bilder. Im März 1901 etwa wird das städtische Ar-
beitsvermittlungsamt in Wien fotografiert. Vor dem
Gebäude hat sich eine große Gruppe von Arbeitslo-
sen versammelt (Abb. 13). Man kann leicht erken-
nen, dass es sich bei der Aufnahme nicht um einen
aktuellen Schnappschuss handelt, sondern um eine
sorgsam inszenierte Aufnahme, die die Institution in
ein positives Licht rückt. Eine ganz andere Aufnah-
me Lechners, die im April 1902 im Interessanten Blatt
erscheint, wirft einen Blick hinter die Kulissen der
Wiener Hofoper (Abb. 14). Vorgestellt wird die Kos-
tümwerkstätte des Opernhauses, in der weitaus mehr
Männer als Frauen arbeiten. Wiederum ist die Sze-
ne als eine Art Gruppenaufnahme angelegt. „Heute
sind wir in der Lage“, heißt es im Beitrag zum Foto, „ein Bild der Schneiderei der Hofoper zu bringen.
Eine große Anzahl fleißiger Hände regt sich da, um
all die Costüme zu verfertigen, die dann im Glanze
des Abends, die Illusion und Habitués wecken. Denn
auch in den Costümen liegt ein Theil des Zaubers und
gerade in unseren Tagen der Toiletten-Poesie ist die
Wirkung verführerischer Trachten nicht zu unter-
schätzen.“17
Als Fotoagentur vertreibt Lechner nicht nur eigene
Aufnahmen, sondern auch Bilder auswärtiger Pres-
sefotografen, etwa des tschechischen Lichtbildners
Ruda (Rudolf) Bruner-Dvorˇák, der seit 1897 regelmä-
ßig über aktuelle Ereignisse in Prag und Umgebung
berichtet.
Im Schatten der Firma Lechner sind nach der Jahr-
hundertwende einige kleinere Agenturen tätig, etwa
die Agentur Sieger-Sobotka, die ab 1904 in Erschei-
nung tritt. Sie wird von den beiden Fotografen Eduard
Sieger und H. Sobotka gegründet, hält sich aber nur
einige wenige Jahre. Erfolgreicher ist die Agentur
„Welt-Preß-Photo“, die 1912 vom Fotografen Josef Per-
scheid gegründet wird.18 Er ist deutscher Herkunft
(geboren 1878 in Koblenz) und hat als Mitarbeiter
der Berliner Illustrations-Gesellschaft, der führenden
deutschen Fotoagentur, bereits reiche internationale
Erfahrung im Metier des Fotohandels gesammelt. Be-
vor er sich 1911 beruflich in Wien niederlässt, hat er Abb. 13 Gruppenporträt
von Arbeitslosen vor dem
Ar-
beitsvermittlungsamt in Wien,
Neubaugürtel.
Das interessante
Blatt, 28.
März 1901, S.
2. Foto:
R. Lechner
(Wilh. Müller).
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang