Seite - 49 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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49Internationalisierung
der Pressefotografie
Führend in diesem neuen Markt ist Berlin, die her-
ausragende deutsche Zeitungsstadt, wo sich eine Rei-
he von international agierenden Firmen etabliert: ne-
ben Zander und Labisch etwa die im Jahr 1900 durch
Heinrich Sanden, Carl Delius und Martin Gordan
gegründete Berliner Illustrationsgesellschaft, die ab
1906 auch in Österreich präsent ist. Einer der Mitbe-
gründer der Fotoagentur, Heinrich Sanden, lebt zwi-
schen etwa 1908 und 1913 in Wien und fotografiert
hier für die Berliner Zentrale. Seine Fotos erscheinen
teilweise auch in Wiener Blättern. Sowohl Zander
und Labisch als auch die Berliner Illustrationsge-
sellschaft beschäftigen eine Reihe von freiberuflich
tätigen „Operateuren“, die das Rohmaterial für den
Fotohandel liefern. Auch Otto und Georg Haeckel be-
treiben seit 1905/06 in Berlin eine Fotoagentur. Seit
1908 sind sie auch auf dem Wiener Markt vertreten.23
Zwar haben zahlreiche wichtige Fotohändler um
1900 ihren Sitz in Berlin. Aber es gibt auch andere
Anbieter. In Zürich etwa entsteht um die Jahrhundert-
wende eine überregional agierende Fotohandelsfirma,
nämlich die „Photoglob-Compagnie“, die ihren univer-
salen Geschäftsanspruch bereits im Namen trägt. Die
1889 gegründete Firma spezialisiert sich zunächst
auf Reproduktionen von Gemälden und Landschafts-
bildern, 1895 nimmt sie den Namen Photoglob an und
beginnt mit der Postkartenproduktion und -vermark-
tung. Nach 1900 bietet sie zusätzlich auch aktuelle
Nachrichtenbilder im In- und Ausland an.24 1903
erscheinen die ersten Photoglob-Aufnahmen in den
Wiener Bildern: eine mehrteilige Reportage über die
Aufstände in Mazedonien.25 In München etabliert
sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg das Münchner
Presse-Bureaux, das seit 1911 in Wien präsent ist.
Die 1905 von Charles Trampus in Paris gegründete
Firma liefert Bilder aus ganz Europa, ebenso vom Bal-
kan und aus Nordafrika, wo sie eigene Operateure
und Mitarbeiter stationiert hat. 1906 erscheinen die
ersten Fotos von Trampus in Wien. Ebenso aus Paris
kommen vor dem Ersten Weltkrieg Modefotografien
aus dem Atelier Reutlinger. Die aus Karlsruhe stam-
mende Fotografenfamilie war im 19. Jahrhundert nach
Paris ausgewandert und hatte dort ein gut gehendes
Atelier gegründet. Nach der Jahrhundertwende be-
ginnt sie mit der internationalen Vermarktung ihrer Bilder. Die ersten Aufnahmen von Charles Reutlinger
tauchen in Wiener Zeitungen um 1910 auf.
Innerhalb eines Jahrzehnts (ca. 1900 bis 1910)
verändert sich der Bildermarkt radikal. Der lokale
und regionale Handel mit Bildern wird durch einen
zunehmenden internationalen Austausch ergänzt.
Nach und nach bildet sich ein über nationale Grenzen
hinweg agierendes Netzwerk von Fotoagenturen. Die
Folge ist, dass auch die Berichterstattung zunehmend
flächendeckender wird. Zwar sind die Schwerpunkte
der fotografischen Öffentlichkeit immer noch regio-
nal umrissen – über die Hauptstadt wird am meisten
berichtet –, aber wichtige internationale Ereignisse
tauchen nun immer öfter in Bildern auf. Diese In-
ternationalisierung des Bildermarktes wurde in der
Forschung bisher kaum zur Kenntnis genommen.
Üblicherweise wird die große Zeit der Fotoagenturen
in der Zwischenkriegszeit angesetzt. Diese These ist
angesichts der beschriebenen Entwicklungen eindeu-
tig zu revidieren.
Ebenfalls wenig bekannt ist die zunehmende Ver-
netzung der Bildberichterstattung innerhalb eines
Landes. Diese Entwicklung läuft teilweise parallel zur
Internationalisierung der Zeitungsfotografie. Wäh-
rend im letzten Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende
nur sporadisch aus der ausgedehnten Provinz des
50-Millionen-Reiches der k. u. k. Monarchie berichtet
wurde, ändert sich das nach der Jahrhundertwende.
Allmählich gelingt es den großen illustrierten Zeitun-
gen eine Art von fotografischem Korrespondenten-
netz in den wichtigsten Provinzstädten aufzubauen.
Die Mitarbeiter sind in der Regel keine Pressefoto-
grafen, sondern traditionelle Atelierfotografen, die
das – je nach Nachrichtenlage – recht unregelmäßige
Geschäft mit den Zeitungsbildern als Zubrot sehen.
Manche dieser lokalen Fotografen arbeiten nur gele-
gentlich für die Presse, andere entdecken in dem neu-
en Gewerbe eine interessante berufliche Alternative
und beginnen sich stärker im Bereich der Pressefoto-
grafie zu engagieren.
Wie weitgespannt das Netz der fotografischen Mit-
arbeiter österreichischer Illustrierter ist, zeigt sich an
der folgenden – unvollständigen – Übersicht. In Buda-
pest arbeitet eine ganze Reihe von Fotografen für Wie-
ner Blätter, besonders häufig Mór Erdélyi (Abb. 15),
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang