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50 Die Jagd nach Sensationen · Pioniere der Pressefotografie
Antal Weinwurm, Ödön Bekei, Istvan Goszleth und
Oskar Kallós. Aus Prag liefern Franz Pawlik und vor
allem Ruda Bruner-Dvorˇák aktuelle Bilder. Letzterer
wagt den Schritt von der Atelier- zur Zeitungsfotogra-
fie, er gilt als der Pionier der tschechischen Pressefo-
tografie.26 Bruner-Dvorˇák fotografiert gesellschaftli-
che Ereignisse, begleitet Mitglieder des Adels und des
Kaiserhauses auf ihren Unternehmungen und Reisen
(v. a. den Thronfolger Franz Ferdinand) und berichtet
häufig über militärische Themen (Manöver, Paraden
usw.). 1906 gründet er die illustrierte Zeitung Cˇesky´
sveˇt (Tschechische Welt). Aus Lemberg schicken
Zsigmunt Goldhammer und M. Münz gelegentlich
Bilder an die Wiener Redaktionen, aus Czernowitz
Johann Krzanowski, aus Krakau Stanislaw Bizanski,
der schon sehr früh Fotos in der illustrierten Presse
unterbringt. In Sarajevo versorgt Anton Schädler die
Wiener Zeitungen, in Olmütz Otto Frank, in Temes-
war Josef Kossák, in Karlsbad Bernhard Wagner, in
Budweis Anton Wild, in Brünn M. Fabian, in Press-
burg Alexander Fink, in Bozen Wilhelm Müller, in
Innsbruck zeitweise Max Löhrich (er sollte später ein
bekannter Landschafts- und Pressefotograf werden),
in Linz Richard Krill, in Graz Franz Sommerauer,
Hans Schullerbauer und Leopold Bude.
Wenn man das logistische Netz, das die Fotoagen-
turen und die fotografischen „Korrespondenten“ aus-
spannen, überblickt, wird deutlich, wie sehr sich die
Fotoberichterstattung im ersten Jahrzehnt nach der
Jahrhundertwende geografisch ausdehnt und interna-
tionalisiert. Aus praktisch allen Teilen Europas und auch aus Übersee werden nun Fotos veröffentlicht.
Aber auch innerhalb der Monarchie wird die Bericht-
erstattung zunehmend dichter. Aktuelle Ereignisse
aus den entferntesten Provinzstädten und -gegenden
finden nun Eingang in die illustrierte Presse. Eines
fällt allerdings auf: Die politische Bruchlinie der
k. u. k. Monarchie, nämlich zwischen der ungarischen
und der österreichischen Reichshälfte, schlägt sich
auch in der fotografischen Öffentlichkeit nieder. Zwar
wird regelmäßig über die „Schwesterstadt“ Wiens,
nämlich Budapest, berichtet, aber relativ wenige Fo-
tografien aus der ungarischen Provinz finden ihren
Weg in die Wiener Presse. Umgekehrt ist es ähnlich.
Dagegen wird ausführlich über die peripheren Ge-
genden der österreichischen Reichshälfte berichtet,
die sich geografisch von Tirol bis nach Galizien, von
Böhmen bis zur Dalmatinischen Küste erstreckt. So
erfahren die Wiener Zeitungsleser beispielsweise
weitaus mehr über das österreichische Lemberg als
über das in der ungarischen Reichshälfte liegende
siebenbürgische Klausenburg, viel mehr über das
österreichische Bozen als über das ungarische Ka-
schau. Nach dem Ersten Weltkrieg allerdings ist diese
„großösterreichische“ Fotoberichterstattung zu Ende.
Als die k. u. k. Monarchie Ende 1918 zerbricht, rücken
die ehemaligen Provinzstädte plötzlich in weite Ferne.
Aktuelle fotografische Nachrichten aus Czernowitz
und Krakau, aus Olmütz und Triest, aus Lemberg
und Sarajevo gibt es nun keine mehr. Und es hat den
Anschein, als ob die Wiener Zeitungsleser sie in der
Zwischenkriegszeit gar nicht vermissen würden.
Abb. 15 Die neu
erbaute Elisa-
beth-Brücke in Budapest
kurz
vor der
Eröffnung für den Ver-
kehr am 10.
Oktober
1903. Das
interessante Blatt, 8.
Oktober
1903, S.
7. Foto: Mór Erdélyi.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang