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67Erzählende
Bilder
nämlich Keller, Souterrain, Hochparterre und 1. Stock
bestehenden Fabriks-Gebäude (...) nur die interessan-
testen Locale aufgenommen, da der Raum in unserem
Blatte die Aufnahmen sämtlicher Localitäten nicht ge-
stattete, aber auch diese Bilder geben einen Beweis
von der Größe dieser Fabrik, welche fast alle Kon-
currenten in so kurzer Zeit siegreich aus dem Felde
geschlagen hat und mit ihren ausgezeichneten und
anerkannten Fabrikaten den Markt beherrscht.“16
Derartige Bilderzählungen tauchen um 1900 ver-
mehrt auf, und dennoch: Gegenüber den weitaus häu-
figer verwendeten Einzelbildern bleiben sie deutlich
in der Minderzahl. Wenn wir die Entstehungsge-
schichte solcher mehrteiligen Bildensembles unter-
suchen, stoßen wir immer wieder auf Holzstiche, sehr
oft amerikanischer Herkunft. Es gibt also offenbar
eine ästhetische Verbindungslinie zwischen Zeich-
nung und Fotografie, die bisher kaum beachtet wor-
den ist. Diese Kontinuität ist aber überaus spannend,
zeigt sie doch, dass die Bildsprache der in Zeitungen
gedruckten Fotografie um 1900 nicht aus dem Nichts
entsteht, sondern teilweise ältere Medienentwicklun-
gen aufgreift.
Nehmen wir als Beispiel einen Holzstich, der am
6. Oktober 1892 im Interessanten Blatt erscheint. Er
trägt den Titel „Der Kampf gegen Eisenbahnräuber“
(Abb. 9). Die siebenteilige Bildgeschichte erzählt in
dramatischen Szenen von den Gefahren amerikani-
scher Eisenbahnüberfälle und dem Kampf der Po-
lizei für Ordnung und Sicherheit. Der Hauptort des
Geschehens, die bewachte Eisenbahn, wird in einer
größeren Überblicksszene dargestellt. Diese zentrale
Szene ist von kleineren, ineinander verschachtelten
Bildern umgeben, die weitere wichtige Ereignisse
zeigen. Die Protagonisten sind in ovalen Vignetten in
das Geschehen eingeblendet. Der Holzstich ist nicht
signiert. Auffallend ist, dass die Hauptdarsteller zwar
Namen tragen, aber weder die Bildtexte noch der kurze
begleitende Text auf derselben Seite nähere Orts- und
Zeitangaben beinhalten. Der Grund dafür liegt darin,
dass die Bildvorlage möglichst vielseitig einsetzbar
sein soll. In der Regel werden derartige Holzstiche
mehrfach gedruckt. Im vorliegenden Fall wurde das
Bild nach Europa verkauft und, wohl Monate, vielleicht
sogar Jahre nach seiner Herstellung, veröffentlicht. Wenn man die Bildgeschichte über den Eisen-
bahnraub mit jener über die Feigenkaffeefabrik Kö-
nig vergleicht, wird deutlich, dass die fotografisch
illustrierte Geschichte zahlreiche visuelle Elemente
des Holzstichs übernimmt. Wie dieser setzt sie auf
eine orientierende Überblicksszene, die den Ort des
Geschehens vorstellt. Ähnlich wie beim Holzstich
werden, geleitet durch nummerierte Bilder und kur- Abb. 9 „Der Kampf gegen
Eisenbahnräuber“. Das
interessante Blatt,
6.
Oktober
1892, S.
7.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang