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76 Redaktion, Druck, Vertrieb · Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht
neuen Verfahren gedruckten Exemplare der Wiener
Bilder vom Band. Wenige Tage später, am 16. April
1914, stellt auch Das interessante Blatt im Hauptteil
auf die neue Drucktechnik um. Euphorisch wird die
technische Revolution gefeiert: „Das Tiefdruckver-
fahren, das wir in dieser Nummer zum ersten Male
zur Anwendung bringen, bedeutet eine neue Periode
in der Geschichte der Reproduktionstechnik. (…) Die
Wiedergabe des photographischen Bildes durch den
Druck, wie sie durch das neue Verfahren ermöglicht
wird, ist derart verschönert und verfeinert, daß man
fortan ohne Übertreibung von einer neuen Blütezeit
der illustrierten Presse sprechen kann.“15 Illustriert
ist der Text mit einer Aufnahme, die die neue Tief-
druckmaschine im Betrieb zeigt (Abb. 6). Natürlich ist
auch diese Abbildung bereits im neuen plastischeren
und detailreicheren Verfahren hergestellt.
Während bisher die Bilder in einem getrennten
Druckgang aufs Papier gebracht werden mussten,
ist nun der gesamte Druckvorgang in einem Arbeits-
schritt vereint: „Auf derselben Druckwalze, auf der
sämtliche Bilder tief geätzt sind, wird auch der üb-
rige Text unseres Blattes in Kupferdruck hergestellt,
so daß von ein und derselben Walze sowohl Text als
auch Bilder gedruckt werden.“16 Die Einfärbung der
Kupferplatte und der Abzug der überflüssigen Far-
be erfolgt nun automatisch. Statt der bisher übli-
chen schwarzen Farbe wird nun ein eingefärbter, oft
bräunlicher oder bläulicher Farbton verwendet. Stolz
wird die erste in Kupfertiefdruck hergestellte Num-
mer des Interessanten Blattes präsentiert, und zwar
mit einem illustren Titelmotiv: einem in der neuen
Drucktechnik hergestellten Foto des Kaisers Franz
Joseph.17 Nachdem die Zeitung gedruckt ist, wird sie für den
Vertrieb vorbereitet. Diese Arbeiten erfolgen in den
Räumen der „Expedition“ (Abb. 7). An langen Tischen
sitzen ausschließlich Frauen. Sie haben die Aufgabe,
die Abonnentenexemplare zu adressieren und zu
Poststücken zusammenzufassen. Eigene Zeitungswa-
gen bringen die Ausgaben dann zum Hauptpostamt
sowie zu den Zwischenhändlern.
Länger als in anderen europäischen Ländern ist in
Österreich die Kolportage, d. h. der Straßenverkauf von
Zeitungen, verboten, nämlich, wie berichtet, bis zum
Jahr 1922.18 Die illustrierte Presse wird daher ebenso
wie die Tagespresse vorwiegend im Abonnement ver-
kauft. Die Bestellungen werden im Ausland über Buch-
handlungen abgewickelt, im Inland über Postämter
und sogenannte „Zeitungs-“ bzw. „Annoncenbüros“.
Diese Dienste bieten beispielsweise die Firmen Leh-
mann, Dukes, Haasenstein & Vogler, Heinrich Schalek,
Anton Oppelik, J. Rafael, Eduard Braun und Hermann
Goldschmied an.19 Die Zahlung der Zeitungsabonne-
ments erfolgt jährlich, halb- oder vierteljährlich. In der
Hauptstadt und in größeren Städten sind die Zeitungen
außer im Abonnement auch über städtische Zwischen-
händler wie Zeitungs- und Tabakläden oder eigene Zei-
tungskioske (sogenannte Verschleißstellen) erhältlich.
Und natürlich werden sie auch in den Kaffeehäusern
gelesen, etwa im Café L’Europe am Stephansplatz, im
Prückel am Stubenring oder im Landtmann neben
dem Burgtheater. Das Wiener Zeitungscafé ist aber
das Café Central in der Herrengasse, das sich vor dem
Ersten Weltkrieg rühmt, 251 Blätter aus dem In- und
Ausland abonniert zu haben. Darunter sind natürlich
auch Illustrierte wie Das interessante Blatt oder die
Wiener Bilder.
Abb. 7 In der „Expedition“.
Nach dem Druck wird die
Zeitung für den Versand vorbe-
reitet. Das interessante Blatt,
16.
April 1914, S.
6.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang