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81Jubiläen
und Geburtstage
zwei Pferdekutschen. Der Fotograf drückt in dem Au-
genblick auf den Auslöser, als der Kaiser das Gebäude
verlassen und im Fuhrwerk Platz genommen hat. Im
Eingang stehen einige Honoratioren, die den kaiserli-
chen Besucher durch das Haus begleitet haben, u. a.
der Direktor der Einrichtung, Leopold Domeny (der
Mann mit weißem Haar). Rechts neben dem Eingang
lugt eine junge Frau durch das geschlossene Fenster,
um einen letzten Blick auf den illustren Gast zu erha-
schen. Im nächsten Augenblick wird sich die Kutsche
in Bewegung setzen und verschwunden sein.
Bilder wie diese sind um 1900 ungewohnt und
neu. Bisher wurde der Kaiser vorwiegend in reprä-
sentativer Pose im Atelier abgelichtet. Oder bei sorg-
sam vorbereiteten Auftritten im Freien. Nun tauchen
Kaiserbilder in der Öffentlichkeit auf, die die Statik
der bisherigen Inszenierungen aufbrechen. Plötzlich
bewegt sich der Kaiser, schreitet aus, reitet und fährt.
Kaum ist er in der Öffentlichkeit unterwegs, wird er
von neugierigen Fotografen „beschattet“, sie folgen
ihm auf Schritt und Tritt.
Zwar geben Kaiser und Kaiserhaus weiterhin re-
gelmäßig repräsentative fotografische Bildnisse bei
renommierten Atelierfotografen in Auftrag. Aber in
der großen Öffentlichkeit setzen sich ganz andere Bil-
der durch. Sie zeigen den Monarchen bei allen mög-
lichen politischen und gesellschaftlichen Anlässen:
auf Reisen, während der Kaisermanöver, bei der Jagd,
auf Sommerfrische in Bad Ischl, bei Staatsbesuchen, bei Eröffnungsfeiern, bei sportlichen, kulturellen und
wirtschaftlichen Veranstaltungen. Die großen gesell-
schaftlichen Ereignisse, wie etwa Ausstellungseröff-
nungen, Messen, aber auch Umzüge und Prozessio-
nen, erhalten nun, falls der Kaiser anwesend ist, ihr
publizistisches Echo in Bildern. Diese Bilder entste-
hen sehr oft im Freien, gelegentlich wird der Kaiser
im Umfeld seines Hofstaats gezeigt. Manchmal sind
es auch Momentaufnahmen, die ein besonderes De-
tail – einen Handschlag, das Besteigen oder Verlassen
der Kutsche, ein Winken, ein Grüßen – festhalten. Die
Starre der Studioporträts, die den Monarchen stets in
fast gleichbleibenden Posen gezeigt haben, löst sich
nun auf.
Jubiläen und Geburtstage
Nach der Jahrhundertwende tauchen Jahr für Jahr
mehr Kaiserbilder in der Öffentlichkeit auf. Diese Fo-
tofaszination steuert 1908 auf einen Höhepunkt zu. In
diesem Jahr findet anlässlich des 60-jährigen Regie-
rungsjubiläums ein gewaltiger Veranstaltungsreigen
statt. Eröffnet werden die Jubiläumsveranstaltungen
Mitte Mai durch einen Besuch des deutschen Kai-
sers Wilhelm II. beim österreichischen Monarchen.
Als dieser am 7. Mai 1908 am Bahnhof Wien Penzing
(der nahe am kaiserlichen Schloss Schönbrunn liegt)
ankommt, wird er mit einem imposanten Zeremo-
niell empfangen. Zahlreiche Fotografen sind anwe- Abb. 5 Der Kaiser
nach dem
Besuch im Kaiser Franz Joseph-
Ambulatorium in der Sand-
wirtgasse
3
–
5 im 6.
Wiener
Gemeindebezirk. Der Monarch
hat im Fuhrwerk Platz genom-
men, nachdem er
vom Direktor
der Einrichtung,
Leopold
Domeny (der Herr
im Eingang
mit weißem Haar) verabschie-
det
wurde. Das interessante
Blatt, 28.
Juni 1900, S.
3. Foto:
Heydenhaus & Robert.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang