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83Rückzug
aus der Öffentlichkeit
Sonderdrucken, in Bildpostkarten, Sammelkarten,
Leporellos und in vielen anderen Formen und For-
maten. Zwei Wochen nach der Veranstaltung sind
die Wochenschaubilder der Kaiserhuldigung in den
österreichischen Kinos zu sehen.
Runde Jubiläen, Jahres- und Geburtstage sind
beliebte Anlässe, um fotografische Kaiserbilder in
die Öffentlichkeit zu bringen. Seit der Jahrhundert-
wende erscheinen zu jedem Kaisergeburtstag (am
18. August) neue fotografische Ansichten des Mo-
narchen. Die bekanntesten Ateliers bemühen sich,
den Kaiser zu sich ins Atelier zu bitten oder ihn vor
dem Schloss Schönbrunn abzulichten. Jahr für Jahr
setzen die illustrierten Blätter diese Kaiserbilder als
prominenten Blickfang und als Mittel zur Verkaufs-
steigerung ein.
Aber auch bei anderen Jubiläen und Festlichkeiten
taucht das Kaiserbild nun auf. Als die führende illus-
trierte Wochenzeitung des Landes, Das interessante
Blatt, am 3. Januar 1907 ihr 25-jähriges Bestehen fei-
ert, steht die aufwendig gedruckte Sondernummer
ganz im Zeichen des Kaiserhauses. Eine Amateurauf-
nahme aus der Hand der habsburgischen Erzherzogin
Maria Theresia eröffnet das Heft, dann folgen Kai-
serbilder über Kaiserbilder, gefolgt von zahlreichen
reproduzierten Autogrammen der hohen Wiener
Gesellschaft. Die Titelseite aber ist für Kaiser Franz
Joseph reserviert (Abb. 7). Man hat für den Anlass
keine der altbekannten Atelieraufnahmen verwen-
det, sondern ein ungewöhnliches, bisher ungesehe-
nes Foto des Monarchen, das erste telegrafierte Bild
Seiner Majestät. „Die Originalphotographie“, heißt es
im Bericht zum Bild, „wurde für die Jubiläumsnum-
mer des ‚Interessanten Blattes‘ von Professor Korn in
München nach seinem fernphotographischem Verfah-
ren über den Draht München–Nürnberg–München,
mit Einschaltung eines künstlichen Widerstandes von
1500 Kilometern, das ist über eine der Luftlinie Ham-
burg–Konstantinopel entsprechende Strecke telegra-
phiert.“14 Wie wenige Jahre zuvor das Röntgenbild, si-
gnalisiert auch diese Aufnahme Modernität – die des
Kaisers, der sich der neuesten Technik anvertraut,
und die der Zeitung, die keine Mittel scheut, über die
aktuellen Ereignisse der Zeit in sensationellen Bil-
dern zu berichten. Rückzug aus der Öffentlichkeit
So mobil und modern der Kaiser im telegrafisch
übermittelten Bild auch erscheint, die Wirklichkeit
hinter den Bildern ist eine andere. Um 1910 ist der
Zenit der Kaisereuphorie in der Fotografie bereits
überschritten. Das vorgerückte Alter und die ange-
griffene Gesundheit machen dem Monarchen immer
mehr zu schaffen. Er ist nun weniger oft in der Öf-
fentlichkeit zu sehen, auf Fernreisen verzichtet er fast
ganz. Doch je seltener der Kaiser in der Öffentlichkeit
auftritt, desto deutlicher beschwört die Fotografie sei-
ne Agilität und Gesundheit. Im Jahr 1910 ist er zum
letzten Mal bei der Wiener Fronleichnamsprozes-
sion zu sehen. Ein Bild dieses Ereignisses (Abb. 8)
wird noch drei Jahre später veröffentlicht, und zwar
anlässlich des Kaisergeburtstags. Das Foto dient ge-
wissermaßen dazu, dem Rückzug des Monarchen Abb. 7 „Das erste telegra-
phierte Bild unseres
Kaisers“.
Das interessante Blatt, 3.
Januar
1907, Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang