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86 Im Rampenlicht · Der Kaiser im Blick der Fotografen
den Fotografen sind ungünstig. Die Sicht ist infolge
des schlechten Wetters eingeschränkt. Der Kaiser
schreitet, in einen langen Mantel gehüllt, rasch auf
den Museumseingang zu. Die Aufnahme ist ein wenig
verwischt, die Gesichtszüge des Monarchen sind nur
undeutlich zu erkennen. Dennoch wird das Foto von
der Zeitung als Beweis für die gute Gesundheit des
Kaisers präsentiert: „Das zahlreiche Publikum brach
beim Anblick des Herrschers, dessen brillantes Aus- sehen freudig bemerkt wurde, in begeisterte Hochru-
fe aus.“17 Und weiter heißt es zum kurzen Auftritt
des Kaisers: „Unter enthusiastischen Ovationen des
Straßenpublikums fuhr der Monarch um 12 Uhr nach
Schönbrunn zurück.“18
Nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs ist der Kai-
ser nur noch selten in der Öffentlichkeit zu sehen. Im
Februar 1915 etwa lässt er sich vor Fotografen blicken,
als er Kriegsverwundete im Vereins-Reservespital
Nr. 2 in der Wiener Hegelgasse im 1. Wiener Gemein-
debezirk besucht (Abb. 12).19 Wir sehen ihn, als er das
Fuhrwerk verlässt und auf den Eingang zuschreitet.
Im Hintergrund sind auf der Straße und an den Fens-
tern zahlreiche Schaulustige zu erkennen. Der öffent-
liche Auftritt des Kaisers gilt als kleine Sensation.
Nach 1914 ändert sich auch die jahrelang einge-
spielte Praxis, zu seinem Geburtstag aktuelle Fotos
zu veröffentlichen. Der Kaiser bittet nun keine Fo-
tografen mehr zu sich, auch die Fotowünsche der
Atelierfotografen werden nicht mehr erhört. In den
letzten beiden Lebensjahren des Monarchen (1914
bis 1916) werden am 18. August in den Zeitungen da-
her nicht mehr, wie gewohnt, Fotografien, sondern
Zeichnungen gedruckt. Im zweiten Kriegsjahr 1915
erscheint zum Geburtstag des Kaisers im Interes-
santen Blatt eine Zeichnung auf dem Titelblatt, die
die „Kaiserhuldigung im Felde“ zeigt (Abb. 13). Wir
sehen einen langen Zug kaiserlicher Soldaten, die
dem Kaiser zujubeln. Aber wie soll man den Kaiser
darstellen, der alt und krank ist und keinen einzigen
der weitab von Wien gelegenen Frontabschnitte je
besucht hat? Der aus Galizien stammende Zeichner
Stanislav Rejchan löst das Problem elegant dadurch,
dass er den Monarchen in einer Vignette einblendet.
Abb. 12 „Die letzte Ausfahrt
des Kaisers“. Franz Joseph am
26.
Februar 1915
beim Besuch
verwundeter Soldaten im
Ver-
eins-Reservespital Nr.
2 in der
Hegelgasse, Wien 1. Die Auf-
nahme wird in Österreichs Illus-
trierter Zeitung am 3.
Dezember
1916, S.
203, also kurz nach
seinem Tod, veröffentlicht.
Abb. 13 „Kaiserhuldigung
im Felde“ aus Anlass des
Geburtstags Franz Josephs. Da
der Kaiser kaum mehr in der
Öffentlichkeit auftritt und foto-
grafiert wird, werden vermehrt
Zeichnungen
eingesetzt, um
den
Kaiser zu
zeigen. Zeich-
nung: Stanislav Rejchan.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang