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88 Im Rampenlicht · Der Kaiser im Blick der Fotografen
Exerzierplatz, auf Staatsbesuch und bei Empfängen
zu sehen. Seinem fortgeschrittenen Alter trotzend, ist
er höchst geschäftig und ständig auf den Beinen. Er
tritt uns in strenger Dienstuniform entgegen und in
legerer Lodenjoppe, mit und ohne Hut. Die Botschaft
dieses in hoher Auflage unters Volk gebrachten Tab-
leaus ist klar: So hat der Kaiser regiert und gelebt, so
soll er in der Erinnerung weiterleben.
Franz Joseph wird hier nicht in der Pose des güti-
gen, entrückten und unnahbaren Herrschers gezeigt,
wie sie die frühen Atelierbilder gerne verbreiteten.
Vielmehr erscheint er vor allem als öffentliche Fi-
gur, eine Rolle, die sich unter tatkräftiger Mithilfe
der illustrierten Presse erst ab der Jahrhundertwen-
de durchsetzt. Der Kaiser ist kein passives „Opfer“ dieser Imagekampagne, im Gegenteil, er spielt aktiv
mit: Er absolviert zahlreiche Auftritte, lässt sich in
der Öffentlichkeit gerne blicken und geht offenherzig
auf sein „Volk“ zu. Es ist bemerkenswert, dass nun,
nach seinem Tod, ein Bild verbreitet wird, das erst
in den letzten eineinhalb Jahrzehnten seines Lebens
entstanden ist. Die illustrierte Presse, in der dieses
Image konstruiert wurde, hat also deutliche Spuren
hinterlassen.
Am 24. Dezember 1916, wenige Wochen nach dem
Tod des Kaisers, erlebt dieser in der Fotografie noch
einmal eine Auferstehung (Abb. 15).21 Charles Scolik,
ein Meister der Fotomontage, lässt den alten Mon-
archen, betend und in sich versunken, inmitten der
Wolken erscheinen. Tief unter ihm ist schemenhaft
die Silhouette einer Stadt zu sehen. Ein junger, weib-
licher Engel fasst den Kaiser an den Schultern und
weist mit der anderen Hand den Weg hinauf ins Licht.
Dort prangt auf hellem Grund der Schriftzug „PAX“.
Die Szene trägt den Titel „Friede“. Gemeint ist damit,
mitten im Krieg, wohl nicht nur der Seelenfrieden des
Verstorbenen, sondern auch der „Weihnachtsfrieden“
und wohl auch die Hoffnung auf ein Ende des Krie-
ges, der nun schon zwei Jahre andauert.
Karl, der Propagandakaiser
Kaiser Karl I., der junge Nachfolger des verstorbe-
nen greisen Monarchen, beginnt seine Regentschaft
mit einem Feuerwerk der Propaganda – in eigener
Sache. Am 20. Februar 1917 wird „auf allerhöchsten
Befehl“ ein eigener „Pressedienst für die Allerhöchs-
ten Herrschaften“ eingerichtet.22 Zum Leiter dieser
neuen Propagandaeinrichtung wird Hauptmann Karl
Werkmann bestimmt. Der Pressedienst dient aus-
schließlich dazu, Öffentlichkeitsarbeit für den Kaiser
zu betreiben. Er soll, so Werkmann, „die Anhänglich-
keit und Liebe der Bevölkerung zum Kaiserhause
vertiefen“ und hat die Aufgabe, „unrichtigen, wenn
auch liebevollem Interesse entspringenden Nachrich-
ten über die Allerhöchsten Herrschaften durch recht-
zeitige Verbreitung zutreffender Nachrichten vorzu-
beugen“ und „bei der Unterdrückung unwahrer oder
ungelegener Nachrichten, sowie bei der Berichtigung
unwahrer Nachrichten mitzuwirken“.23
Abb. 16 Kaiser Karl I. zu Be-
such in
Innsbruck. Er sitzt
im
offenen Auto auf dem Rücksitz.
Wiener Bilder,
10.
Februar 1918,
Titelseite.
Foto: Heinrich und
Ludwig
Schuhmann.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang