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92 Als die Männer fliegen lernten · Die ersten Wiener Flugschauen
phorischen Worten wird der erste triumphale Wiener
Auftritt des französischen Fliegers im Interessanten
Blatt beschrieben.6 Und weiter heißt es im Bericht:
„Blériot kam zu uns als Bringer der Sensation, um
welche das zwanzigste Jahrhundert alle Zeiten über-
ragt.“7 Nach seinem Ärmelkanalflug entschließt sich
Blériot zu einer Tournee durch zahlreiche Städte Euro-
pas. Überall lässt er sich als Star der Lüfte feiern. Und
überall preist er sein neues Luftgefährt an, die Blériot
XI, einen Eindecker. Schließlich hat er nach seinen
Erfolgen vor, das Modell serienmäßig zu produzieren
und zu verkaufen. Auch darin ist Blériot erfolgreich:
800 Stück setzt er in den folgenden Jahren ab.
Die Wiener Flugschau vom Oktober 1909 ist, eben-
so wie jene in Budapest, wo Blériot Tage zuvor zu
Gast war (Abb. 1), oder jene in Bukarest, wohin er
von Wien aus weiterreist, ein Spektakel für die Mas-
sen und zugleich ein mediales Großereignis. Wie eng
Berichterstattung und mediale Inszenierung beiein-
anderliegen, ist bereits wenige Monate zuvor deutlich
geworden. Den Preis für die Ärmelkanalüberquerung
hat die englische Zeitung Daily Mail gestiftet. Der er-
wartete Werbeeffekt für das Blatt und die deutliche
Auflagensteigerung treten ein. Die Berichterstattung
rund um Blériots Flug löst eine beispiellose Flugeu-
phorie aus, von der die Presse enorm profitiert und
die von dieser auch angeheizt wird. Auch in Wien
kennt v. a. die populäre Presse rund um den 23. Ok-
tober nur ein Thema: den französischen Flugstar. Vor
allem die illustrierten Wochenzeitungen setzen alles
daran, ihren Lesern aktuelle Bilder der Ereignisse zu
präsentieren.
Flugshows abgehalten. Die Piloten und ihre filigran
erscheinenden Fluggeräte werden von der Presse und
vom Publikum bestaunt und umjubelt. An den Flug-
plätzen werden Tribünen für die Zuschauer aufge-
stellt und Eintrittskarten verkauft. Hunderttausende
Schaulustige versammeln sich, um das Spektakel der
wundersam sich vom Boden erhebenden Fluggeräte
aus nächster Nähe zu betrachten. Im August 1909 pil-
gern anlässlich der großen Flugwoche in Reims (22.
bis 29. August) 500 000 Zuschauer zum Flugfeld von
Bétheny. Im September sind es wiederum Hundert-
tausende, die die internationale Flugschau im ober-
italienischen Brescia (8. bis 20. September) besuchen,
darunter die aus Prag angereisten Freunde Franz Kaf-
ka und Max Brod.4 Wenige Tage später, Ende Septem-
ber 1909, kommen in Berlin 150 000 Schaulustige zur
Flugschau auf dem Berliner Flugfeld Johannisthal,
ebenso viele versammeln sich Mitte Oktober anläss-
lich der ersten Flugschau in Budapest. Am 23. Okto-
ber 1909 schließlich ist es auch in Wien so weit: Vor
200 000 Zuschauern steigt zum ersten Mal ein Mann
in einem motorisierten Fluggerät in die Luft. Es ist
kein Geringerer als der Franzose Louis Blériot, der
am 25. Juli 1908 mit seinem sensationellen Flug über
den Ärmelkanal berühmt geworden war.5
Blériots Flugschau in Wien
„Endlich haben auch wir ihn gesehen, den fliegen-
den Menschen, der als ein moderner Ikarus einfach
zwei Flügel ausbreitet, um dem Kerker der Erden-
schwere durch die Lüfte zu entfliehen.“ Mit diesen eu-
Abb. 1 Louis
Blériot in seinem
Eindecker vor dem Start in
Budapest, Oktober 1909. Das
interessante Blatt, 28.
Oktober
1909, S.
7. Foto: Oskar Kallos.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang