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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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106 Mit der Kamera bewaffnet · Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg Titelseite. Am 9. Juli erscheint dasselbe Bild auch im Interessanten Blatt, der größten Illustrierten des Lan- des (Abb. 1). Im Bildtext heißt es: „Die Festnahme des 20jährigen Gymnasiasten Gavro Princip, des Mörders des Thronfolgerpaares.“2 Beide Male fehlen Hinweise auf den Fotografen. Sarajevo 1914: Eine fotografische Legende entsteht Die Szene wird im Handumdrehen berühmt. Von dem Motiv werden Postkarten und Leporellos her- gestellt, es wird immer wieder in den Zeitungen ab- gedruckt und später auch in Büchern. Von nun an ist dieses Foto die Ikone, die stellvertretend für die unmittelbare Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges steht. Zwar tauchen schon bald Zweifel auf, wonach der Verhaftete möglicherweise gar nicht Princip sei. Tatsächlich, so stellt sich heraus, handelt es sich bei dem Verhafteten nicht um den Attentäter, sondern um einen von zahlreichen anderen Verdächtigen, die an diesem Tag festgenommen wurden. In Wirk- lichkeit heißt der junge Mann Ferdo Behr, mit dem Attentat hat er nichts zu tun.3 Dennoch: Einmal in Umlauf gebracht, ist die Geschichte nicht mehr zu stoppen. Bis heute ist der Verhaftete auf dem Foto der Attentäter Princip.4 Und wer ist der Fotograf? Als das Bild Anfang Juli 1914 in den Wochenzeitungen gedruckt wird, taucht nur gelegentlich ein Hinweis auf die Herkunft des Fotos auf. In der Hamburger Illustrierten, in der das Bild am 9. Juli erscheint, findet sich etwa am Fuße der Zeitungsseite der Hinweis „Phot. Trampus“. Bald setzt sich dieser Name als Fotograf des angeblichen Attentäters von Sarajevo durch. Wer ist dieser Tram- pus? Er heißt mit Vornamen Charles und ist ein rühriger Geschäftsmann.5 1905 gründet er in Paris ein Unternehmen, das sich auf den Handel mit Fo- tografien verlegt. Die Fotoagentur Trampus liefert Bilder aus ganz Europa, ebenso vom Balkan und aus Nordafrika, wo sie eigene Operateure und Mitarbeiter stationiert hat. 1906 erscheinen die ersten Fotos der Agentur Trampus in den Wiener illustrierten Zeitun- gen. Es liegt auf der Hand: Nicht Charles Trampus selbst hat die Szene in Sarajevo fotografiert, sondern seine Firma ist es, die das Foto an die europäische Presse weiterverkauft. Trampus ist also der Name der Fotoagentur, nicht jener des Fotografen. Neuere For- schungen gehen davon aus, dass der Fotograf Philipp Rubel hieß. Denn neben dem Namen Trampus taucht in den zeitgenössischen Veröffentlichungen gelegent- lich auch der Name Rubel auf. Dieser sei, so heißt es, ein Wiener Fotograf gewesen, der im Auftrag der Fotoagentur Trampus in Sarajevo stationiert gewesen sei. Er habe an diesem besagten 28. Juni 1914 in Sara- jevo die berühmte Szene fotografiert.6 Aber auch diese Version stimmt nicht. Denn Phi- lipp Rubel ist, so zeigen Nachforschungen in Wien, kein Fotograf. Er ist 1871 in Czernowitz geboren. Um die Jahrhundertwende verschlägt es ihn, wie viele andere galizische Juden auch, in die Hauptstadt der Monarchie. Seit 1905 lebt er in Wien.7 Hier betreibt er ein Papiergeschäft. In der Porzellangasse 60 ver- kauft er nicht nur Papier, sondern auch Postkarten. Er betreibt einen kleinen Postkartenverlag. Die Mo- tive stammen hauptsächlich aus dem kroatischen Adriaraum. Sie tragen den Aufdruck „Verlag Philipp Rubel, Wien IX“. Vermutlich erwirbt der Verleger die Vorlage von der Fotoagentur Trampus und verviel- fältigt sie in Form von Postkarten. Immerhin: Er ist nicht der Einzige, der sich ein lukratives Geschäft mit der Szene erhofft. Andere Fotohändler haben diesel- be Idee, etwa der Wiener Fotograf Carl Seebald, der seit 1908 eine Fotoagentur führt. Auch er verkauft das Foto, das angeblich den Attentäter zeigt, an die Presse. Wer die hektische Verhaftungsszene des an- geblichen „Mörders“ wirklich aufgenommen hat, liegt also bis heute im Dunkeln. Vermutlich hat ein ano- nymer Fotograf aus Sarajevo das Bild an die Agentur Trampus verkauft. Dass sein Name auf den Presse- abzügen, die die Agentur vertreibt, nicht erscheint, ist durchaus üblich. Das Foto, das den angeblichen Attentäter zeigt, wird also wohl weiterhin als Ikone des 20. Jahrhunderts zirkulieren, mit falscher Bildun- terschrift. Denn vom Attentat in Sarajevo und von der Verhaftung Princips gibt es kein Foto. Gavrilo Princip verschwindet in der Gefängniszelle, ohne dass noch ein Fotograf einen Schnappschuss von ihm erhascht. Ein einziges Mal noch wird er seine Zelle verlas- sen. Am 23. Oktober 1914 – inzwischen hat der Krieg
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Untertitel
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Autor
Anton Holzer
Verlag
Primus Verlag
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Abmessungen
23.0 x 29.0 cm
Seiten
498
Schlagwörter
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Kategorie
Medien

Inhaltsverzeichnis

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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