Seite - 108 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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108 Mit der Kamera bewaffnet · Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg
heute Südpolen) ist weit im Hinterland der Ostfront
gelegen. Sie wird ausgewählt, weil sie weder in un-
mittelbarer Frontnähe noch in der Nähe des Armee-
oberkommandos liegt. Dadurch ist es leichter, die
Presse zu kontrollieren. Von Dukla aus gelangen die
Berichterstatter nur selten in Frontnähe.10
Fotos aus dem unmittelbaren Kriegsgebiet gibt es
in den ersten Tagen des Krieges noch keine. Zwar
sind nicht wenige Soldaten mit ihren Kameras in den
Krieg gezogen, aber offiziell akkreditierte Kriegsfoto- grafen sind noch nicht unter ihnen. Erst am 10. Sep-
tember 1914, also über einen Monat nach Kriegs-
beginn, erscheint in der illustrierten Zeitung Das
interessante Blatt erstmals eine Fotografie, die Spuren
von Kampfhandlungen am östlichen Kriegsschauplatz
festhält. Die Aufnahme zeigt, so heißt es im Bildtext,
„das erste von unseren Truppen erbeutete Aeroplan,
dessen Piloten heruntergeschossen wurden.“11 Sie
stammt vom Wiener Pressefotografen und Fotoagen-
ten Carl Seebald, der als einer der ersten Pressefoto-
grafen Bilder vom beginnenden Krieg aufnimmt. Bald
geht er auch dazu über, von Soldaten und Offizieren
zugekaufte Fotografien an die Presse zu liefern.
Bereits Ende Juli 1914 fotografiert Seebald Solda-
ten, die aus dem Zug winken, sowie Angehörige und
Schaulustige, die auf dem Bahnsteig von den einrü-
ckenden Männern Abschied nehmen.12 Ähnliche Sze-
nen erscheinen zu Beginn des Krieges mehrfach in
der Presse. Am 6. August 1914 etwa bringt Das interes-
sante Blatt eine Aufnahme, die einrückende Soldaten
zeigt (Abb. 3). Sie winken aus den geöffneten Zug-
fenstern. Auf dem Bahnsteig stehen Angehörige, die
ebenfalls winken und ihre Hüte schwenken. Diese eu-
phorischen Bilder verschwinden aber bald wieder aus
der Öffentlichkeit. Denn die versprochenen raschen
militärischen Erfolge bleiben aus. Nur gelegentlich
tauchen begeisterte Abschiedsszenen im Laufe des
Krieges wieder auf, etwa wenn der erschlaffenden
Kriegsbegeisterung propagandistisch neuer Schwung
verliehen werden soll. Nach dem Tod Kaiser Franz
Josephs im November 1916 entfacht sein Nachfolger,
Kaiser Karl, eine umfassende Medienoffensive. Nicht
Abb. 3 Aufbruch in
den Krieg.
Einrückende
Soldaten werden
in Wien
von Angehörigen
ver-
abschiedet. Das interessante
Blatt, 6.
August 1914, S.
7.
Abb. 4 Der Thronfolger (später
Kaiser Karl I.)
zieht in den
Krieg. Vor seiner Abreise an
die Front wird er am
23.
August
1914 von ungarischen Offizie-
ren
auf den Schultern getragen
und bejubelt.
Österreichs
Illustrierte Zeitung, 3.
Dezember
1916, S.
217.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang