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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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109Die Arbeit der Kriegsberichterstatter zufällig wird am 3. Dezember 1916, also wenige Tage nach dessen Amtsantritt, in Österreichs Illustrierter Zeitung, einem besonders kaisertreuen Blatt, eine Aufnahme veröffentlicht, die am 23. August 1914 entstand (Abb. 4). Sie zeigt eine Gruppe ungarischer Offiziere, die den Thronfolger bei seiner Abreise an die Front mit erhobenen Säbeln bejubeln. Wir sehen ihn rechts im Bild, mit einem Kreuz gekennzeichnet, wie er auf den Schultern zweier Offiziere sitzt. Das Foto hat eindeutig propagandistischen Charakter. Es soll die militärische Legitimität des neuen Herrschers bekräftigen und die Begeisterung für den Krieg, die merklich nachgelassen hat, neu zu beleben. Bis heu- te dienen Fotografien wie diese dazu, eine angeblich allumfassende Kriegsbegeisterung im August 1914 zu illustrieren und zu beweisen. Neuere Untersuchun- gen hingegen zeigen, dass das euphorische „August- erlebnis“ auf einer klischeehaften Zuspitzung beruht und – zumindest teilweise – eine mediale Konstrukti- on ist.13 Die Arbeit der Kriegsberichterstatter „Der Kriegsberichterstatter kam auf Urlaub.“ Mit diesen Worten beginnt der Journalist und Schriftstel- ler Alfred Polgar seine kurze gleichnamige Skizze. „Er trug einen fabelhaften Pelz. Zwei Revolver laste- ten in zwei lichtgelben, ledernen, knirschenden Re- volvertaschen, ein Dolchmesser mit Emailgriff und eingeschnittenem Monogramm stak im Gürtel, an den hohen juchtenen Stiefeln sangen Silbersporen marti- alische Lieder.“14 Als Polgar diese Zeilen schreibt, ist der Erste Weltkrieg noch in vollem Gange und fast wie durch ein Wunder passiert der Text die Hürde der Zensur. Die Skizze erscheint zusammen mit an- deren Texten, die zwischen 1916 und 1923 zunächst in Zeitungen und Zeitschriften gedruckt wurden, 1929 in Buchform. Mit spitzer Feder und in kleinen, aber sehr genauen Beobachtungen beschreibt Polgar den radikalen gesellschaftlichen Einschnitt, den der Krieg herbeigeführt hat. Bewusst gibt er dem Buch den Titel Hinterland. Denn was er sieht, beobachtet und beschreibt, sind nicht die großen Schlachten, die Kämpfe im Schützengraben, sondern, das, was hinter der Front, zu Hause, vor der eigenen Tür passiert. Es ist, wie Polgar es nennt, das „kleine Elend“ des Krieges.15 Doch zurück zu unserem Kriegsberichterstatter, den der Autor voller Spott und Sarkasmus zeichnet. Er fühlt sich nicht sicher zu Hause, angesichts der vorbeisausenden Autos, der scheuen Pferde und der Ziegelsteine, die ihm auf den Kopf fallen könnten. Am liebsten geht er ins Kino. Denn die Filme aus dem Kriegsgebiet „verhalfen doch zu einiger Anschauung vom Kriege. Man bekam immerhin ein beiläufiges Bild der Sache und konnte sich vorstellen, wie solch ein Feldzug in Wirklichkeit aussehen möge. Der Kriegsberichterstatter fühlte sich belehrt und ange- regt. Hingegen verwirrte ihn der ungewohnte Anblick des Militärs, das, mit todbringenden Waffen bewehrt, durch die Straßen zog. So kriegerische Bilder hatten etwas Beunruhigendes für ihn.“16 Polgar kennt die Arbeitsweise der Kriegsbericht- erstatter. Wie viele seiner Kollegen wird er 1915, als die Propagandaanstrengungen verstärkt werden, im Kriegsarchiv in Wien dienstverpflichtet. Hier ist er für Kriegsberichterstattung und Propagandadienste zuständig. Die Fäden der Kriegspropaganda laufen in Wien zusammen. Später wird er Parlamentsbericht- erstatter für die Wiener Allgemeine Zeitung. Polgars Karikatur des Kriegsberichterstatters ist zwar zuge- spitzt, falsch aber ist sie nicht. Die Kriegsjournalisten beziehen ihre Informatio- nen mindestens ebenso von den Wiener Propaganda- stellen wie aus eigener Anschauung an der Front. Zwar werden sie in der Öffentlichkeit oft als uner- schrockene Kämpfer geschildert, die in gefährlichen Situationen an vorderster Front ausharren und im Kugelhagel ihre Berichte liefern. In den Zeitungen erscheinen Bilder, die den Fotografen mit seiner Ka- mera bewaffnet im Schützengraben zeigen (Abb. 5). Aber die Realität sieht anders aus. Höchst selten hal- ten sich etwa die offiziellen Kriegsfotografen während der Kämpfe an vorderster Front auf. Meist werden die Schlachtfelder erst nach den Kämpfen besucht. Kampfaufnahmen sind in der Regel gestellte Bilder.17 Wenn die Kriegsfotografen im Frontgebiet unter- wegs sind, bewegen sie sich vorwiegend im Umkreis des jeweiligen Armeekommandos oder des örtlichen Armeekorps, die ihren Sitz in der Regel in größeren
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Untertitel
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Autor
Anton Holzer
Verlag
Primus Verlag
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Abmessungen
23.0 x 29.0 cm
Seiten
498
Schlagwörter
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Kategorie
Medien

Inhaltsverzeichnis

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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