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115Der
Krieg und die Folgen
Der Krieg und die Folgen
Im Sommer 1918 geht der Krieg in sein fünftes
Jahr. Kriegsmüdigkeit macht sich breit, der Hunger
hat die Bevölkerung – vor allem in den großen Städ-
ten – schwer in Mitleidenschaft gezogen. Und den-
noch: In der illustrierten Presse wird nach wie vor
Optimismus verbreitet. Der junge Kaiser lässt sich
wie eh und je gerne in der Öffentlichkeit blicken. Sei-
ne Auftritte suggerieren Normalität. Am 8. Juli 1918
macht er mit seiner Familie von Schloss Eckartsau aus
einen kleinen Ausflug zum Flugfeld in Aspern. Anlass
ist die Einrichtung einer Luftpostlinie zwischen Wien
und Budapest, die am 4. Juli eröffnet wurde. Die Flug-
verbindung zwischen der österreichischen und der
ungarischen Hauptstadt hat mehr symbolische als re-
ale Bedeutung. Immerhin signalisiert sie, inmitten der
Auflösungserscheinungen, die im k. u. k. Reich bereits
deutlich spürbar sind, die Einheit des Staates.
Der Kaiserbesuch findet seinen Niederschlag in
der illustrierten Presse. In den Wiener Bildern er-
scheint eine Aufnahme, die Kaiser Karl in Begleitung
seiner Frau Zita und der Kinder Otto, Adelheid und
Robert auf dem Flugfeld zeigt (Abb. 11). „Die Majes-
täten und ihre reizenden Kinder“, so heißt es zum
Bild, „erwarteten an dem milden Sommerabend die
Ankunft des schon gemeldeten Flugzeuges, das am
Nachmittag Budapest mit der für Wien bestimmten
Flugpost verlassen hatte. Das Flugzeug landete in ele-
ganter Schleife knapp vor dem Kaiserpaar. (...) Kai-
ser und Kaiserin zogen die Flieger ins Gespräch und
wohnten dann der Übergabe der Flugpost aus Buda-
pest an die Amtsorgane der Post bei. Auch die Kinder
des Kaiserpaares bekundeten lebhaftes Interesse und
ließ der Kaiser den Kronprinzen Otto zu dessen aller-
größter Freude auf eines der Flugzeuge heben. Die
allerhöchsten Herrschaften waren von dem Besuche
ungemein befriedigt und verließen den Flugplatz mit
den Ausdrücken ihrer besonderen Anerkennung.“29
Die Idylle dieses Sommerabends hat nicht lange Be-
stand. Schon ein halbes Jahr später, am 11. November
1918, muss Kaiser Karl zurücktreten. Einen Tag spä-
ter wird die Republik ausgerufen.
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wird
Karl Renner Staatskanzler. Er ist Sozialdemokrat und pflegt ein anderes Auftreten als der mediensüchtige
Kaiser Karl. In der Öffentlichkeit tritt er viel seltener
auf. Wenn er im Mittelpunkt des journalistischen
Interesses steht, tritt er als Staatsmann auf. Eine
Aufnahme, die am 8. Juni 1919 in den Wiener Bildern
veröffentlicht wird, zeigt ihn inmitten von Journalis-
ten und Fotografen im Pariser Vorort Saint-Germain
(Abb. 12). Renner ist angereist, um als Leiter der
„deutschösterreichischen Delegation“ die Friedens-
verhandlungen mit den Siegermächten zu führen.
Eine undankbare Aufgabe, denn zu verhandeln gibt
es nach der katastrophalen Niederlage Ende 1918
nicht viel. Vielmehr bleibt ihm und seiner Regierung
in den folgenden Wochen und Monaten nichts weiter
übrig, als die Bedingungen der Alliierten hinzuneh-
men. Als am 10. September 1919 in Saint-Germain der
Friedensvertrag der Siegermächte mit Österreich un-
terzeichnet wird, ist der Erste Weltkrieg auch formal
beendet. Abb. 12 Friedensverhand-
lungen in Saint-Germain. Der
österreichische
Staatskanzler
Karl Renner
(Bildmitte) wird bei
der Ankunft
im Pariser Vorort
von Journalisten
und Fotografen
umringt.
Wiener Bilder, 8.
Juni
1919,
Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang