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132 Theater der Macht · Parlament und Politik in Bildern
Hand. Wenige Tage später wird auch diese letzte op-
positionelle Bastion zusammenbrechen.
Im Februar 1934 eskaliert die Situation. Der
Schutzbund, die militärische Vorfeldorganisation der
Sozialdemokraten, setzt sich gegen den letzten Schritt
in Richtung Diktatur, die geplante Entwaffnung ihrer
Organisation, zur Wehr. Es kommt zum Ausbruch of-
fener Gewalt. Der kurze, blutige Bürgerkrieg zwischen
den Regierungstruppen und Mitgliedern des Schutz-
bundes dauert vom 12. bis zum 15. Februar 1934. Er
fordert über 300 Todesopfer und mehrere Hundert
Verletzte. Der Niederlage der Sozialdemokraten folgen
Verhaftungen und Repressionen. Die sozialdemokra-
tische Partei und Presse werden ebenso wie die Ge-
werkschaftsbewegung verboten. Der Wiener Bürger-
meister Karl Seitz wird verhaftet. Die Stadtverwaltung
der Hauptstadt ist nun in der Hand der Regierung.
Jegliche politische Opposition ist ausgeschaltet.
Am 30. April 1934 tritt das Parlament zu einer
letzten Sitzung zusammen. Nur die 76 Delegierten
der siegreichen Regierung sind anwesend. Die Reihen
der Opposition bleiben leer. Ein Pressefotograf hat
diese denkwürdige Zusammenkunft, bei der die Ein-
führung der Diktatur formal beschlossen wird, festge- halten (Abb. 19).46 Es ist das letzte Bilddokument aus
dem Inneren des österreichischen Parlaments, das
vor 1945 in der Öffentlichkeit erscheint – bezeichnen-
derweise in einer ehemaligen sozialdemokratischen
Zeitung, die nach dem Bürgerkrieg im März 1934
von der Regierung übernommen worden war. In den
folgenden elf Jahren spielt das Parlament als Forum
demokratisch gewählter Abgeordneter politisch keine
Rolle mehr.
In seiner letzten Sitzung Ende April 1934 be-
schließt das Rumpfparlament mit überwältigender
Mehrheit (74 zu zwei Stimmen), die bestehende de-
mokratische Verfassung außer Kraft zu setzen und
durch eine neue, „ständische“ Verfassung zu erset-
zen. Im Artikel III des Bundesverfassungsgesetzes
„über außerordentliche Maßnahmen im Bereich der
Verfassung“ vom 30. April 1934 heißt es lapidar:
„Der Nationalrat und der Bundesrat sind mit dem auf
die Verlautbarung der Verfassung 1934 (Artikel II)
folgenden Tag aufgelöst. Mit diesem Tage sind die
Funktionen des Nationalrates und des Bundesrates
erloschen.“47
Das Parlamentsgebäude an der Wiener Ringstraße
wird allerdings weiterhin genutzt. In der neuen Ver-
Abb. 19 Die letzte Sitzung des
Parlaments, in der das Ermäch-
tigungsgesetz für
die Regierung
beschlossen wird. Anwesend
sind nur 76 Parlamentarier der
Regierungspartei, die Ränge
der Opposition bleiben leer.
Bunte Woche, 6.
Mai 1934, S.
2.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang