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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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135Ist das nicht grotesk? hinten und vorne Polizei. So sah der jubelnde Emp- fang aus. Ist das nicht grotesk? Über die Ringstraße marschierten wohlgezählte 1100 Mann. Auf der Brust eines jeden klapperten die ‚Kriegsauszeichnungen‘, da sah man junge Burschen, die den Krieg noch auf der Schulbank erlebt, abgetakelte Offiziere, die ihn in der Etappe zugebracht haben. Ein Redner pries den Krieg in allen Tonarten. Die Musik spielte den Radetzkymarsch. Sie spielte ihn auch damals, als der Mann ins Feld zog, dem eine Granate die Beine weg- riß, und der jetzt auf einem Wägelchen sein Leben dahinfristet. Ist das nicht grotesk?“1 Dem spottenden Text beigefügt ist die Aufnahme eines „Hahnenschwänzlertanzes“, die wenige Tage zuvor bei einer sozialdemokratischen Maifeier ent- standen war (Abb. 1). Die junge Tänzerin im Bild heißt Fritzi Klein. Sie ist eine jener Künstlerinnen, die Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre nicht nur privat, sondern auch in ihrer künstlerischen Arbeit offen gegen die nationalistischen, rechten Be- wegungen Stellung beziehen. Zusammen mit Cilly Wang tritt Fritzi Klein in diversen Wiener Kleinkunst- bühnen auf. Sie begleiten mit ihren Tanzeinlagen „groteske“ Texte von Peter Hammerschlag.2 Auch ihr Hahnenschwänzlertanz ist eine solche groteske tän- zerische Intervention, und zwar mit einer klaren po- litischen Zielrichtung. Der Hahnenschwanz, den der „richtige“ Heimwehrmann stolz auf seinem Hut trägt, ist in der tänzerischen Karikatur von Fritzi Klein in Richtung Hintern gewandert: dorthin, wo der Birk- hahn, von dem die Federn ursprünglich stammen, den Schmuck trägt.3 Das Zeichen der Heimwehr wird, als eine Art Wedel am Gürtel, der Lächerlichkeit preisgegeben. Aus dem Kopfschmuck ist in dieser In- szenierung ein von einer Frau getragener demontier- ter „Schwanz“ geworden, der sich im Schattenspiel an der Wand auf gespenstische Weise verdoppelt. „Die Wiener Tänzerin Fritzi Klein hat“, so heißt es abschließend im Kuckuck, „die ganze Lächerlichkeit der großtuerischen Hahnenschwänzlerei in einem Grotesktanz einzufangen verstanden. Die drohende Geste, die rollenden Augen, der trotzige Mund und dazu die Kikerikiattitüde. Ist das nicht grotesk?“4 Bis zum Jahr 1929 ist es der Heimwehr tatsächlich nicht gelungen, in der von den Sozialdemokraten be- herrschten Wiener Metropole Fuß zu fassen und hier eine Massenbasis zu etablieren. In den folgenden Mo- naten und Jahren wird sich das freilich ändern. Die Anhängerschaft der Heimwehr nimmt ab 1929 auch in Wien zu, ihre öffentlichen Auftritte ziehen mehr und mehr Menschen an. Als die paramilitärischen Verbände im November 1929 wiederum einen Auf- marsch in Wien organisieren, ist der Zulauf weitaus größer als noch im Mai (Abb. 2). An die 10 000 unifor- mierte Heimwehrleute defilieren über die Ringstraße zum Heldenplatz, wo die neuen Wimpel der militäri- schen Formation geweiht werden. Fritzi Kleins politische Intervention ist in mehrfa- cher Hinsicht bemerkenswert. In ihrer Tanzeinlage erhält der in diesen Jahren erbittert geführte Kampf um die Straße einen künstlerischen Schattenriss. Die Tänzerin kommentiert die aktuellen politischen Er- eignisse auf Wiens Straßen. Und dennoch geht sie in ihrer Stellungnahme deutlich über den tagespoli- tischen Anlass hinaus. Ihr „Grotesktanz“ arbeitet mit den Mitteln der Ironie und der Anspielung, er nimmt Abb. 2  Heimwehraufmarsch  auf  der  Wiener  Ringstraße.  Die  Tiroler  Heimwehr  wird  auch  als  „Heimatwehr“  bezeichnet.  Der Welt-Guck,  17.  November  1929,  Titelseite.
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Untertitel
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Autor
Anton Holzer
Verlag
Primus Verlag
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Abmessungen
23.0 x 29.0 cm
Seiten
498
Schlagwörter
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Kategorie
Medien

Inhaltsverzeichnis

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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