Seite - 147 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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Zeit der Konzerne
auf die inhaltliche Ausrichtung der einzelnen Blätter
nieder. Daher ist ein Blick hinter die Kulissen einzel-
ner Zeitungen unabdingbar, auch um abrupte Kurs-
wechsel verstehen und einordnen zu können. Wenn
im Folgenden die Entwicklung der illustrierten Pres-
se in der Zwischenkriegszeit dargestellt wird, geht
es nicht allein um die Beschreibung und Einordnung
einzelner Zeitschriften. Ziel ist es vielmehr, beispiel-
haft das komplexe Verhältnis zwischen Ökonomie,
Politik und Ästhetik nachzuzeichnen. Vorgestellt
werden dabei nicht nur die großen, marktbeherr-
schenden Zeitungen, sondern auch kleinere Blätter
und Magazine, von denen oft maßgebliche Impulse
für einen innovativen Umgang mit Bildern ausgehen.
Die Zeit der Konzerne
In den wirtschaftlich turbulenten Jahren nach dem
Ersten Weltkrieg sinkt der Einfluss der klassischen
Verlegerpersönlichkeiten auf das Schicksal einzelner
Zeitungen. Stattdessen übernehmen Konzerne, also
Firmengeflechte bestehend aus mehreren Drucke-
reien und Verlagen, die oft in starker Abhängigkeit
von Großbanken stehen, das Ruder. Vor allem wäh-
rend der Inflationsjahre in den frühen 1920er Jah-
ren schlittert eine Reihe von Familienunternehmen
in die Krise. Die Folge sind Notverkäufe und häufige
Eigentümerwechsel. Eines dieser unternehmerischen
Nachkriegsschicksale erleidet Österreichs Illustrierte
Zeitung, die seit November 1918 unter einem neuen
Namen erscheint. Sie heißt nun Wiener Illustrierte Zei-
tung (Abb. 3). Die den Christlichsozialen nahestehen-
de Wochenzeitung, die vor dem Krieg größenmäßig
stets im Schatten des Interessanten Blattes und der
Wiener Bilder steht, aber bis etwa 1920 dennoch eine
gewisse Bedeutung hat, überlebt die ökonomischen
Turbulenzen der frühen 1920er Jahre nur mit Not. Ihr
billigeres Schwesterblatt, die populär aufgemachte Il-
lustrierte Das Neueste im Bilde, wird Ende 1919 einge-
stellt.4 Die Wiener Illustrierte Zeitung wird mehrmals
verkauft und ändert immer wieder Titel, Aufmachung
und Inhalte.
Die Umbenennung von Österreichs Illustrierter
Zeitung in Wiener Illustrierte Zeitung erfolgt, so heißt
es in der Begründung Ende 1918, „mit Rücksicht auf
wahrenden Kurs einschlagen. Ihre Auflagen steigen
nur leicht an. Ab Ende der 20er Jahre sind die Anzei-
generlöse aufgrund der Wirtschaftskrise rückläufig.
Der schrumpfende Anzeigenmarkt führt zu einer la-
tenten Unterkapitalisierung der Presse. Entsprechend
schwierig ist es für die meisten Zeitungen, mit auf-
wendigen technischen und grafischen Neuerungen
Schritt zu halten. Im Vergleich zur deutschen und
vor allem zur Berliner Bildpresse, die in den 1920er
Jahren aufgrund steigender Auflagen und Anzeigen-
erlöse enorm innovativ ist, fällt die österreichische
Bildpresse deutlich zurück.
Erst um 1930, als durch Neugründungen visuell
fortschrittlicher Zeitschriften der Druck der Konkur-
renz deutlich größer wird, beginnen sich die beiden
führenden österreichischen Blätter langsam zu mo-
dernisieren. Um zwei Beispiele für Neugründungen
dieser Jahre zu nennen: 1929 wird der den Christ-
lichsozialen nahestehende Welt-Guck gegründet, im
selben Jahr erscheint zum ersten Mal der sozialde-
mokratische Kuckuck. Beide orientieren sich, was
Aufmachung und Gestaltung betrifft, an deutschen
Vorbildern und sind deutlich experimentierfreudiger
als die alteingesessenen Blätter. Der Aufschwung der
Partei- und parteinahen Presse um 1930 hat spürbare
Auswirkungen auf die gesamte illustrierte Zeitungs-
landschaft.
Diese ist noch weiteren Herausforderungen ausge-
setzt. Ende der 1920er Jahre nimmt die Konkurrenz
durch die täglich erscheinenden Boulevardblätter
zu, die zunehmend Illustrationen und Fotos einset-
zen.3 Zudem drängt die deutsche illustrierte Presse
ab Mitte der 1920er Jahre verstärkt auf den österrei-
chischen Zeitungsmarkt. Ebenfalls Ende der 1920er
Jahre tauchen neue Zeitschriftenformate auf, die der
herkömmlichen illustrierten Presse innovative Impul-
se verleihen, zugleich aber auch Konkurrenzunter-
nehmen sind: Gesellschaftsmagazine, die ganz auf die
Kraft der Fotografie setzen.
Insgesamt wird das Pressegeschäft in der Zwi-
schenkriegszeit verglichen mit der Vorkriegszeit in-
stabiler und unsicherer. Davon ist auch die illustrierte
Presse betroffen. Neugründungen, Verkäufe, Fusio-
nen und Liquidierungen sind an der Tagesordnung.
Der wirtschaftliche Schleuderkurs schlägt sich auch
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang