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148 Im Schatten der Konzerne · Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit
die politischen Verhältnisse“, d. h. die ungeklärte
Staatsform bzw. die Anschlusspläne an Deutschland.5
In der Inflationszeit 1921/22 ist die Zeitung aus Kos-
tengründen gezwungen, auf ein 14-tägiges Erschei-
nen umzustellen und die Bezugspreise drastisch zu
erhöhen.6 Dennoch kann der langjährige Besitzer,
Jakob Philipp, das Blatt nicht halten.7 Er verkauft die
Zeitung Ende 1921 an Karl Hübel und den bisherigen
Chefredakteur Karl Meisner, die sie ab Oktober 1922
unter dem alten Titel Österreichs Illustrierte Zeitung
als Modernes Familienblatt, so der neue Untertitel,
weiterführen.8 Doch die neue, im verkleinerten For-
mat und mit weit weniger und schlecht gedruckten
Bildern erscheinende Zeitung ist keineswegs mo-
dern. Kommerziell kann sie nicht recht Fuß fassen.
Ab 1925 wird sie vom christlichsozial-konservativen
Herold-Konzern (Strozzigasse 8, Wien 8) kontrolliert,
der auch die konservative Tageszeitung Reichspost
verlegt.9 In den folgenden Jahren steuert die Zeitung
einen katholisch-konservativen Kurs, sie unterstützt
ganz offen die christlichsoziale Regierung. Ende der
1920er Jahre entwickelt sie sich unter dem Chefre-
dakteur Karl Burger, der unter dem Kürzel KABU viel
in der Zeitung publiziert, wieder in Richtung einer
Wochenillustrierten. Bereits 1934 ist dieses Zwi-
schenspiel wieder zu Ende. Die Zeitung, die neuerlich
verkauft wird,10 erscheint bis 1938 (als sie eingestellt
wird), nur noch monatlich. Sie ist nun ein offenes Pro-
pagandaforum der austrofaschistischen Regierung.
Die geschilderte ökonomische Achterbahnfahrt ei-
nes ehemaligen Familienunternehmens ist durchaus
typisch für die österreichische Zeitungslandschaft der
Zwischenkriegszeit. Kleinere und mittlere Einzelun-
ternehmen geraten in die Krise. An ihre Stelle treten
große Konzerne. Das bei Weitem größte Zeitungsun-
ternehmen Österreichs ist in der Zwischenkriegszeit Steyrermühl, das 1928 Rang 24 unter den bedeutends-
ten österreichischen Aktiengesellschaften einnimmt.11
Der 1872 gegründete Konzern mit Sitz am Wiener
Fleischmarkt 3 – 5 verfügt über mehrere Papierfabri-
ken, Druckereien sowie Buch- und Zeitungsverlage.
Eine Reihe auflagenstarker Tageszeitungen (darunter
das traditionsreiche Neue Wiener Tageblatt) gehört zu
Steyrermühl, allerdings besitzt das Unternehmen kei-
ne namhaften illustrierten Zeitungen.12 Der Konzern
steht in den 1920er Jahren unter dem Einfluss der von
Rudolf Sieghart geleiteten Bodencreditanstalt, welche
wiederum den Christlichsozialen und der Heimwehr
nahesteht.
Der zweitgrößte österreichische Medienkonzern,
die Vernay AG13, liegt größenmäßig deutlich hinter
Steyrermühl.14 Das Unternehmen wurde 1877 von Jo-
hann Nepomuk Vernay als Druckereibetrieb gegrün-
det. 1913 entsteht daraus, unter Beteiligung mehrerer
Aktionäre15 und der Anglo-Österreichischen Bank,
die Vernay Aktiengesellschaft, die ihre Geschäftsfel-
der sukzessive ausweitet und in der Zwischenkriegs-
zeit zu einem großen Druck- und Zeitungsunterneh-
men aufsteigt. Ab 1925 kontrolliert eine tschechische
Eigentümergruppe (Orbis Verlag), in der das Prager
Außenministerium maßgeblich mitmischt, den Kon-
zern. In ihrem Auftrag wird Emil Oplatka Direktor
der Vernay. Er ist es, der in den späten 1920er und
1930er Jahren die Geschicke des Wiener Medienkon-
zerns leitet. Im 1912 erbauten Verlagshaus in der
Canisiusgasse 8 –10, Wien 9, sind Mitte der 1930er
Jahre rund 600 Mitarbeiter beschäftigt. Es beher-
bergt neben einem großen, modern ausgestatteten
Druckereibetrieb eine Reihe von Zeitungsredaktio-
nen.16 Mitte der 1920er Jahre übernimmt der Konzern
durch Zukäufe und Aktienbeteiligungen zwei bisher
unabhängige Unternehmen und dehnt so seine pub-
lizistische Reichweite schlagartig aus. 1925 erlangt
die Vernay AG die Kontrolle über die Kronos AG (die
Boulevardblätter wie Die Stunde, aber auch Magazine
wie Die Bühne publiziert). 1926 übernimmt der Kon-
zern auch die Tag AG, die u. a. die 1922 gegründete
bürgerlich-demokratische, linksliberale Tageszeitung
Der Tag – ab 1930 nennt sie sich Der Wiener Tag – her-
ausbringt. Die beiden eingegliederten Unternehmen
Tag AG und Kronos AG waren zuvor von den Speku-
Abb. 3 Im November 1918
wird die
den Christlichsozialen
nahestehende Wochenzeitung
Österreichs Illustrierte Zeitung
in Wiener Illustrierte Zeitung
umbenannt. Wiener Illustrierte
Zeitung, 17.
November 1918,
Zeitungskopf.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang