Seite - 155 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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155Der
christlichsoziale Welt-Guck
von Felix H. Man und Alfred Eisenstaedt) und der
1930 in Deutschland gegründeten kommunistischen
Agentur Unionbild.50
Die Blütezeit des Kuckuck währt nur kurz. Bereits
im März 1933 wird die Vorzensur eingeführt, ab
Juni 1933 darf das Blatt in Zeitungsläden nicht mehr
verkauft werden, als Vertriebsweg bleibt nur noch
das Abonnement. In den folgenden Monaten beginnt
ein verzweifelter Kampf der Sozialdemokraten gegen
die autoritär regierenden Christlichsozialen. Als im
Februar 1933 die deutsche Arbeiter-Illustrierte Zei-
tung verboten wird, ist der Kuckuck als professio-
nell gemachte Arbeiter-Illustrierte allein auf weiter
Flur – auch international gesehen. Am 23. April 1933
appelliert die Zeitung an ihre Leser: „In dieser Zeit
spricht die Photographie, das Bild dessen, was ist,
die lauteste Sprache. In unzähligen ‚Illustrierten‘
überschüttet der Hakenkreuzfaschismus die Welt mit
Bildern von Parademärschen und Flaggenhissungen.
Kein Bild von Not und Tod der arbeitenden Menschen
kann erscheinen. Nur der ‚Kuckuck‘, heute die ein-
zige Arbeiter-Kupfertiefdruck-Illustrierte Europas,
kämpft im unbestechlichen Lichtbild für Freiheit und
Gerechtigkeit. Helft uns in diesem Kampf! Werbet
neue Leser und Abonnenten! Schickt unser Blatt an
Gesinnungsgenossen im Ausland! Verbreitet überall
den ‚Kuckuck‘!“51 Als einzige österreichische Illust-
rierte berichtet der Kuckuck ausführlich über Bücher-
verbrennungen, den Boykott jüdischer Geschäfte und
antisemitische Gewalt in Deutschland. Eine Zeit lang
versucht der Kuckuck, deutsche Oppositionelle zu
erreichen, indem er seinen Vertrieb in der Tschecho-
slowakei ausbaut. Ein knappes Jahr später, nach dem
Verbot der Sozialdemokratie, ist allerdings auch der
Kuckuck Geschichte. Mitte Februar 1934 erscheint die
letzte Nummer der Zeitung.
Der christlichsoziale Welt-Guck
So wie der Kuckuck erscheint auch der Welt-Guck
im großen Berliner Format, auch er ist im Kupfer-
tiefdruck hergestellt. Anfangs erscheint die Zeitung
14-tägig, bald stellt sie auf ein wöchentliches Er-
scheinen um. Die Umschlaggestaltung der beiden
Zeitungen gleicht einander. Während allerdings der Kuckuck bei der Titelblattgestaltung häufig auf
eine Fotomontage zurückgreift, verwendet der Welt-
Guck in der Regel ein einzelnes Foto als Titelmotiv.
Im Innenteil geht der Welt-Guck noch stärker als der
Kuckuck in Richtung einer modern gestalteten Bilder-
zeitung. Regelmäßig bringt die Zeitung professionell
zusammengestellte, ein- oder mehrseitige Fotorepor-
tagen, im Kuckuck erscheinen dagegen viel selte-
ner Reportagen. Die Textspalten lösen sich im Welt-
Guck stärker auf als im Kuckuck, die Bilderzählung
ist – v. a. im Innenteil – dynamischer. Text und Bild Abb. 10 Modernes Zeitungs-
layout am Beispiel des Welt-
Guck. Kennzeichnend für das
Blatt ist das großformatige,
ausdrucksstarke Titelfoto. Welt-
Guck, 27.
Mai 1930, Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang