Seite - 156 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Bild der Seite - 156 -
Text der Seite - 156 -
156 Im Schatten der Konzerne · Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit
werden auf subtile Weise miteinander verschränkt.
Pressefotos werden auf vielfältige Weise bearbeitet,
bevor sie ihren endgültigen Platz im Zeitungslayout
bekommen. Sie werden je nach Bedarf beschnitten,
vergrößert, verkleinert oder freigestellt. Oft werden
signifikante Details isoliert, ein anderes Mal wie in ei-
ner Großaufnahme „herausgezoomt“ (Abb. 10). Nicht
selten arbeitet die Bildredaktion des Welt-Guck mit
dem Bildmaterial geradezu filmisch.
Interessant ist, dass auch der Welt-Guck gelegent-
lich politisch pointierte Fotomontagen einsetzt. Diese
Tatsache rüttelt am weitverbreiteten Credo, dass die
politische Fotomontage in der Zwischenkriegszeit
in erster Linie von der politischen Linken genutzt
worden sei. Am 17. November 1929, auf einem ers-
ten Höhepunkt der politischen Grabenkämpfe zwi- schen links und rechts, erscheint im Welt-Guck bei-
spielsweise eine ganzseitige Fotomontage, in der die
kommunistische Gefahr und ihre angeblichen Folgen
beschworen werden (Abb. 11). In der oberen Bildhälf-
te bedroht die geballte Arbeiterfaust die kleinen und
mittleren Bürger. In der unteren Bildhälfte wird dar-
gestellt, was passiert, „wenn Bolschewisten oder ihre
Trabanten (damit sind die Sozialdemokraten gemeint,
A. H.) regieren“. Es bricht, so signalisiert die plakati-
ve Montage, Willkür und Entrechtung herein, Kirchen
werden geschlossen, christlichsoziale und konservati-
ve Zeitungen verboten und zensiert, Andersdenkende
werden ins Gefängnis geworfen. Wer diese Montage
zusammengestellt hat, ist nicht bekannt, als Urheber
wird am Fuße lediglich „Weltguck“ genannt. Zwar
bringt der Welt-Guck deutlich weniger Montagen als
der Kuckuck, aber die absolute Ausnahme bilden sie
nicht. Immer wieder werden in der innenpolitischen
Berichterstattung die unversöhnlichen Positionen von
links und rechts mithilfe von Schere und Klebstoff
drastisch gegenübergestellt. Gelegentlich wird die
Fotomontage aber auch in der Sensationsberichter-
stattung verwendet, um dramatisierende Effekte zu
erreichen.
Der Welt-Guck ist eng mit der Tagespresse des
Tyrolia-Konzerns verbunden. Als die illustrierte Zei-
tung im Oktober 1929 startet, wird sie – jeweils mitt-
wochs52 – der wichtigsten Tageszeitung des Verlags,
dem Tiroler Anzeiger, beigelegt.53 Diese „Starthilfe“ ist
erfolgreich. Der Welt-Guck, der auch als eigenständige
Zeitung vertrieben wird, erreicht 1932 mit einer Auf-
lage von 60 000 eine beachtliche Reichweite.54 Über
das Innenleben des Welt-Guck ist bisher nur wenig
bekannt. Als verantwortlicher Redakteur im Sinne
des Presserechts ist bei der Gründung der Zeitung
Sigmund Berchtold genannt. Er ist im Hauptberuf
für den Inseratenteil des Tiroler Anzeigers, des Flagg-
schiffs der Tyrolia-Presse, zuständig. „Hauptschrift-
leiter“, so wird der Chefredakteur beim Welt-Guck
genannt, ist bis 1934 P. A. Schmitz. Die weitere Zu-
sammensetzung der Redaktion ist bisher nicht rekon-
struiert worden. Daher wissen wir nicht, wer neben
Schmitz als Redakteur tätig ist, wer die Bildredak-
tion innehat und wer für den professionellen Um-
bruch des Blattes verantwortlich ist.
Abb. 11 Antikommunistische
Propaganda 1929.
Auch im
konservativen Welt-Guck
kommen gelegentlich
politische
Fotomontagen zum Einsatz.
Welt-Guck, 17.
November 1929,
S.
2.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang