Seite - 157 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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157Der
christlichsoziale Welt-Guck
Der Welt-Guck ist – neben dem Bergland55 – die
einzige namhafte österreichische Illustrierte, die
ihren Verlagssitz im Westen des Landes (in Inns-
bruck) hat. Das schlägt sich auch im Vertriebsnetz,
der Verbreitung und dem Themenspektrum der Zei-
tung nieder. Auch wenn der Welt-Guck sich im Un-
tertitel als Illustriertes Blatt für Österreich bezeichnet,
bedient er, im Unterschied zu den meisten anderen
Illustrierten dieser Zeit, vor allem die Leserschaft im
Westen Österreichs. Dasselbe gilt für die Themen der
Fotoberichterstattung. Neben regionalen Ereignis-
sen wie Unfällen, Katastrophen, Gerichtsfällen u. Ä.
bringt der Welt-Guck auch zahlreiche Bildberichte zu
ländlichen und alpinen Themen, etwa über die Milch-
erzeugung, Wintersportveranstaltungen, Leben,
Brauchtum und Landschaft in den Bergen und vie-
les andere mehr. Ein guter Teil der Fotografen – viele
von ihnen Amateure –, deren Bilder im Blatt veröf-
fentlicht werden, leben in Tirol. Unter ihnen sind
Karl Dornach, Richard Müller, Herbert Kogler, Paul
Kraberger, Grieshaber und Otto Form. Andere, wie
der 1911 in Bregenz geborene Marian Schwabik,
der seit 1929 als freier Pressefotograf für deutsche
und österreichische Blätter tätig ist, halten sich oft
in Tirol auf und gestalten für den Welt-Guck Repor-
tagen zu Alltagsthemen, Wintersport, Landschaften
und Brauchtum.56 Dennoch ist der Welt-Guck keine
Tiroler Illustrierte. Dafür sorgen zahlreiche Berichte
und Reportagen, die aus dem Ausland, v. a. von deut-
schen Fotoagenturen (etwa Dephot, Mauritius, ABC,
Atlantic, Sennecke u. a.) kommen, oft aber auch direkt
von renommierten, international tätigen Fotografen
zugekauft werden.57 Auch Wiener Pressefotografen
publizieren regelmäßig im Welt-Guck, etwa Leo Ernst,
Adalbert Hilscher, Heinrich Schuhmann jun., Steffi
Schaffelhofer und vor allem Lothar Rübelt, der beson-
ders oft mit Reportagen vertreten ist.
Der meistpublizierte Fotograf des Welt-Guck ist al-
lerdings kein Österreicher, sondern Deutscher, er lebt
in Frankfurt: Paul Edmund Hahn veröffentlicht seit
1930 in fast jeder Nummer meist einseitige Reporta-
gen zu alltäglichen Themen. Geboren 1897 in Straß-
burg, studiert er nach dem Ersten Weltkrieg mehrere
geisteswissenschaftliche Fächer, freilich ohne großen
Erfolg. Er bricht seine Studien ab und wendet sich der Fotografie zu. Ab Ende 1927 arbeitet er als Fotojour-
nalist.58 Zunächst publiziert er im Frankfurter Illust-
rierten Blatt, dann arbeitet er auch für die Münchner
Illustrierte Presse, die Frankfurter Illustrierte und die
Kölnische Illustrierte Zeitung. Alle diese Zeitungen
gehören um 1930 zu den grafisch und fotografisch
innovativsten Wochenzeitungen Deutschlands. Hahn,
der von Anfang an mit der kleinformatigen Leica ar-
beitet, ist ein Meister der genauen Beobachtung. Er
sammelt nicht Einzelbilder, sondern trägt thema-
tische Bildserien zusammen, die sich am Redakti-
onstisch zu Geschichten anordnen lassen. Er gilt als
einer der Pioniere der modernen Fotoreportage, die
seit Ende der 1920er Jahre in den avancierten Bild-
medien der Weimarer Republik immer häufiger ver-
öffentlicht werden. Wie Hahn zum Welt-Guck kommt,
ist nicht überliefert. Vermutlich ist die Redaktion auf
seine frühen Bildberichte in Das illustrierte Blatt auf-
merksam geworden. Diese in Frankfurt erscheinen-
de Wochenzeitung spielt Ende der 1920er Jahre eine
wichtige Rolle in der Modernisierung der Bildspra-
che. Sie ist auch wegweisend in der Entwicklung der
Fotoreportage.59 Häufig sind Hahns Reportagen für
den Welt-Guck Zweit- oder Drittverwertungen bereits
in Deutschland erschienener Berichte. Mitte 1932 be-
endet Paul Edmund Hahn aus bisher nicht bekannten
Gründen seine Tätigkeit als Fotojournalist.60 Auch im
Welt-Guck erscheinen 1932 seine letzten Reportagen.
Am 5. November 1932 stellt der Welt-Guck seine
Aufmachung radikal um. Die Redaktion merkt dazu
an, dass das Blatt nun ein „neues und endgültiges
Kleid“ gefunden habe.61 Die Zeitung verabschiedet
sich vom Erscheinungsbild einer modernen Wo-
chenillustrierten. Das Format wird verkleinert, der
Textteil erhöht, der Bildteil enorm reduziert. Auch
der Umschlag wird modifiziert. Er entwickelt sich in
Richtung einer „neutraleren“ Kulturzeitung. Auf den
Kupfertiefdruck der Bilder verzichtet man nun, statt-
dessen ziert den Umschlag ein farbiger Balken. Auch
die inhaltliche Ausrichtung wird verändert. Man hält
an der katholisch-konservativen Ausrichtung fest,
reduziert aber deutlich die politische Berichterstat-
tung. „Tages- und Parteipolitik interessiert uns in den
Spalten des Weltguck nicht“, behauptet die Redakti-
on und verspricht, sich für die „Politik des gesunden
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang