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160 Im Schatten der Konzerne · Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit
tet Ullstein das Wiener Zeitungsvorhaben mit dem
Hintergedanken, angesichts der politisch ungewissen
Lage in Deutschland eine verlegerische Hintertür in
Österreich zu öffnen.72
Aber schon nach wenigen Monaten wird das Zei-
tungsprojekt wieder beendet. Am 3. Juni 1934 er-
scheint die letzte Nummer der Wiener Illustrierten
Zeitung. Mit mangelnden wirtschaftlichen Ressourcen
hat die Schließung des Blattes wohl nichts zu tun,
denn Ullstein ist in diesen Jahren das mächtigste Zei-
tungsunternehmen Europas. Es müssen also andere
Gründe für die Entscheidung ausschlaggebend sein.
Das Ende des Blattes hat möglicherweise (auch) mit
der austrofaschistischen Pressepolitik zu tun, die ab
1933/34 die Kontrolle der österreichischen Zeitun-
gen und Zeitschriften deutlich ausweitet. Nicht nur
linke und oppositionelle Blätter werden verboten,
auch bürgerliche Zeitungen spüren den Zugriff des
Bundespresseamtes. Eine Reihe von Zeitungen wird
verstaatlicht und auf Regierungslinie weitergeführt.73
Besonderem Druck sind Publikationen ausgesetzt, die
mit ausländischem Kapital finanziert werden. Mögli-
cherweise zieht sich Ullstein im Frühsommer 1934
aus dem Wiener Zeitungsgeschäft aber auch deshalb
zurück, weil genau zur selben Zeit Verhandlungen
über den Verkauf des Berliner Firmenimperiums an
eine NSDAP-nahe Treuhand GmbH geführt werden.
Am 30. Juni 1934 wird der Kaufvertrag abgeschlos-
sen, ab diesem Zeitpunkt ist die Ullstein-Familie nicht
mehr im Besitz ihres Unternehmens. Knapp vier Wo-
chen zuvor hat die Wiener Illustrierte Zeitung ihr Er-
scheinen eingestellt.
Kommunistische und
nationalsozialistische Illustrierte
Die Jahre 1933/34 bedeuten – neben dem Jahr
1938, als in Österreich die Nationalsozialisten an
die Macht kommen – einen zentralen Einschnitt in
der Entwicklung der Bildpresse. Wirtschaftskrise
und austrofaschistische Regierungspolitik tragen
dazu bei, dass das Zeitschriftenspektrum innerhalb
weniger Jahre neu geordnet wird. Im bürgerlich-libe-
ralen Sektor konsolidiert sich die Macht der altein-
gesessenen Blätter wieder, nachdem konkurrierende Neugründungen kurzfristig für Aufregung gesorgt,
sich aber längerfristig nicht hatten durchsetzen kön-
nen. Aber auch die Partei- bzw. parteinahe Presse,
die um 1930 einen enormen Aufschwung erlebt, ist
im Umbruch begriffen. Im christlichsozialen Sek-
tor setzt sich die im September 1933 gegründete
Österreichische Woche, eine auflagenstarke Propa-
gandaillustrierte des „Ständestaates“ gegenüber re-
gionalen Projekten, etwa dem Innsbrucker Welt-Guck,
durch.74 Die illustrierte Presse der Sozialdemokraten
und Kommunisten, aber auch jene der nationalsozi-
alistischen Rechten wird 1933 bzw. 1934 verboten.
Mitte 1933, ein knappes Jahr bevor der sozialde-
mokratische Kuckuck dem Verbot zum Opfer fällt,
werden zwei weitere parteinahe Zeitungen aus
politischen Gründen eingestellt, die KP-nahe Illus-
trierte Rote Woche und der Notschrei, die anfangs
zweiwöchentlich, später wöchentlich erscheinende
illustrierte der österreichischen Nationalsozialisten.
Die kommunistische Zeitung ist keine Illustrierte im
modernen Sinne, sondern ein handwerklich einfach
gemachtes, billig hergestelltes, recht textlastiges
Kampfblatt, das mit Fotos illustriert ist (Abb. 13). Die
erste Nummer der Illustrierten Roten Woche erscheint
am 7. Februar 1932. Wenige Wochen später erhält sie
den Untertitel Die Wochenzeitung der Werktätigen. Als
Eigentümer, Herausgeber und Verleger ist im Impres-
sum die Rosa-Verlags-Gesellschaft m.b.H. (Otto-Wag-
ner-Platz 5, Wien 9) genannt, als verantwortlicher Re-
dakteur Guido Zamisˇ aus Mauer bei Wien. Inhaltlich
vertritt die Zeitung die Linie der KPÖ, auch wenn die-
se nicht explizit in Erscheinung tritt. Auffallend viele
Berichte behandeln Themen aus der Sowjetunion. Es
ist daher durchaus denkbar, dass die Illustrierte Rote
Woche finanzielle Unterstützung von der Komintern
bzw. der Internationalen Arbeiterhilfe bekommt. Ihre
Auflage liegt bei 15 000 Exemplaren.75 Der sozialde-
mokratische Kuckuck erreicht zur selben Zeit eine
doppelt so hohe Auflage.76
Obwohl die Zeitung keine ausgesprochene Bilder-
zeitung ist, spielt die Auseinandersetzung mit der
Fotografie in redaktionellen Beiträgen immer wieder
eine Rolle. Schon kurz nach der Gründung wird nach
dem Vorbild der Arbeiter-Illustrierten Zeitung und des
Kuckuck ein „Photo-Preisausschreiben“ zum Thema
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang