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162 Im Schatten der Konzerne · Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit
Hinsicht kommt sie nie auch nur annähernd an das
deutsche Vorbild – den nationalsozialistischen Illu-
strierten Beobachter – heran. Für den Umschlag wird
in der Regel ein seitenfüllendes Foto verwendet, Titel
und Überschriften sind in flotter Schrift manuell ge-
zeichnet. Im Innenteil ist die Zeitung konventioneller
aufgemacht. Die dreispaltige Gliederung wird immer
wieder für Bildstrecken und Illustrationen durchbro-
chen, aber avancierte grafische Lösungen finden sich
selten. Zwar bringt die Zeitung gelegentlich Fotomon-
tagen, aber deren grafische Gestaltung ist, etwa im
Vergleich zum Kuckuck, wenig raffiniert. Auch der
Druck ist eher schlecht.
Bis 1933 tritt die österreichische NSDAP in der
Zeitung Der Notschrei nicht explizit in Erscheinung.
Sogar Details zu Eigentümerstruktur, Herausgebern und Redakteuren werden im Impressum nicht preis-
gegeben – wohl, um die Mitarbeiter vor staatlichen
Nachstellungen zu schützen. Die Leser erfahren nur,
dass Schriftleitung und Verwaltung in der Hirschen-
gasse 25, Wien 6, untergebracht ist. Ab Herbst 1932
verschwinden auch die Hinweise auf die Fotografen
weitgehend. In ihrer Programmatik orientiert sich
der Notschrei an den Publikationen der deutschen
Nationalsozialisten, über die regelmäßig ausführliche
Berichte erscheinen. Attacken gegen die österreichi-
sche christlichsoziale Regierung, das Werben für ei-
nen Anschluss an Deutschland und ein aggressiver
Antisemitismus, Rassismus und Antikommunismus
gehören zu den zentralen inhaltlichen Ingredienzien
des Blattes.78
Neben Aufnahmen professioneller Lichtbildner
und Fotoagenturen druckt die Zeitung auch regel-
mäßig Fotos, die Leser eingeschickt haben. Die Re-
daktion fördert diese Zusendungen mit Aufrufen:
„Photoamateure! Sendet uns weiter fleißig Aufnah-
men!“79 Über die Pressefotografen, die regelmäßig
für die Zeitung tätig sind, ist wenig bekannt, da ihre
Namen häufig nicht genannt werden. Ein Fotograf ist
allerdings von Anfang an auffallend oft mit Bildern
im nationalsozialistischen Notschrei vertreten, Lothar
Rübelt. Seine Bilder werden immer namentlich an-
geführt. Er hat offenbar keinerlei Berührungsängste
gegenüber der nationalsozialistischen Illustrierten.
Rübelt ist mit Freizeit- und Sportbildern (Abb. 14)
ebenso präsent wie mit Aufnahmen von Parteiver-
anstaltungen. Als einziger österreichischer Pressefo-
tograf beliefert er das gesamte politische Spektrum
mit Bildern, vom sozialdemokratischen Kuckuck bis
zum nationalsozialistischen Notschrei. Als am 18. Sep-
tember 1932 Joseph Goebbels, der Berliner „Gaulei-
ter“ und Propagandachef der NSDAP, in der Wiener
Sportarena Engelmann vor großem Publikum auftritt,
liefert Rübelt die Fotos für den Notschrei (Abb. 15). Im
Text zu den Bildern heißt es: „Die Begeisterung der
Massen kannte keine Grenzen als Dr. Goebbels geen-
det hatte. Und als schließlich aus tausend Kehlen das
Deutschlandlied erklang, da fühlte jeder einzelne, daß
alle Anstrengungen und Krämpfe der Systemparteien
auch bei uns vergebens sein werden, daß auch uns
Österreichern die historische Stunde schlagen wird,
Abb. 14 Der Notschrei ist
eine professionell hergestellte
Illustrierte der österreichischen
Nationalsozialisten, die Anfang
der 1930er Jahre
gegründet
und
im
Juni
1933
verboten
wird.
Der Notschrei,
15.
Dezember
1932, Titelseite. Foto: Lothar
Rübelt.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang