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166 Im Schatten der Konzerne · Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit
Schließlich, und auch dies hat Auswirkungen auf
die österreichische Pressefotografie, internationa-
lisiert sich auch das Gewerbe der Pressefotografie
zunehmend. Die Fotografen werden mobiler, ebenso
ihre Bilder, die – v. a. über Agenturen – über die na-
tionalen Grenzen hinweg verkauft werden. Öster-
reichische Fotografen orientieren sich ab Mitte der
1920er Jahre stärker an der deutschen Presse, die
u. a. deshalb attraktiv ist, weil ihre Auflagen weit hö-
her sind und die Bezahlung deutlich besser ist als in
Österreich. Eine Reihe von Wiener Fotografen (und
Agenturen) bieten ihre Bilder regelmäßig deutschen
Zeitungen und Magazinen an.86 Auf diese Weise sam-
meln sie wichtige Erfahrungen, die in ihre Arbeit
einfließen. Andere arbeiten zeitweise im Ausland,
publizieren aber auch in Österreich.87 Der Austausch über die Grenzen hinweg erfolgt
aber auch in die umgekehrte Richtung. Um 1930
werden vermehrt Aufnahmen ausländischer, vor
allem deutscher Fotografen in Österreich gedruckt.
Einige von ihnen führen Reportageaufträge nach Ös-
terreich.88 Sie liefern größtenteils klassische Presse-
fotos, immer wieder aber erscheinen um 1930 auch
moderne, avantgardistische Aufnahmen in österrei-
chischen Zeitungen und Zeitschriften. Sie stammen
oft von deutschen, französischen und tschechischen
Fotografen.89 Ihr Beitrag zur Modernisierung der ös-
terreichischen Fotografie ist bisher noch kaum un-
tersucht.
Ein letzter, ebenfalls wenig bekannter, Aspekt ist
für die ästhetische Bereicherung der österreichischen
Fotokultur der frühen 1930er Jahre von Bedeutung:
der Beitrag deutscher oder in Deutschland lebender
Fotografen und Fotojournalisten jüdischer Herkunft,
die nach 1933 fliehen müssen. Einige wenige lassen
sich vorübergehend in Wien nieder oder machen
hier Zwischenstopp, bevor sie weiterreisen.90 Be-
deutsamer ist der Beitrag jener, die in die Nachbar-
länder, etwa in die Schweiz, nach Frankreich oder in
die Tschechoslowakei fliehen und sich wirtschaftlich
über Wasser zu halten versuchen, indem sie ihre Bil-
der nun u. a. auch in Österreich zur Veröffentlichung
anbieten.91 Dazu kommen jüdische Fotografen, die
nach 1933 (zunächst) in Deutschland bleiben und
hier nicht mehr publizieren dürfen. Einige von ih-
nen versuchen, ihre Bilder in Österreich (und der
Schweiz) zu verkaufen.92
An Anregungen für eine Modernisierung der Bild-
sprache fehlt es also nicht. Und dennoch nehmen die
beiden führenden österreichischen Illustrierten, Das
interessante Blatt und die Wiener Bilder, die gestal-
terischen und ästhetischen Innovationen nur sehr
zögernd und verspätet auf. Woran mag das liegen?
Neben den bereits genannten Gründen sind hier die
Kleinheit des Landes und die – außerhalb Wiens – feh-
lende städtische Kultur zu nennen. Die urbane Kli-
entel, an die sich in Deutschland die modernen Il-
lustrierten wenden, fehlt in Österreich weitgehend.
Dazu kommen unterschiedliche rechtliche Traditio-
nen. In Deutschland etwa ist der Straßenverkauf, die
sogenannte Kolportage, bereits seit 1904 erlaubt. Das
Abb. 21 Die von
Stefan Lorant
geleitete Münchner Illustrierte
Presse gehört zu den
grafisch
innovativsten Illustrierten der
Weimarer Republik. Münchner
Illustrierte Presse,
21.
November
1927, Titelseite. Foto:
Sasha
Stone.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang