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167Zaghafte
Modernisierung
erhöht den Druck auf die Illustrierten, durch sugges-
tive, reißerische Titelseiten, aber auch durch flottere
Gestaltung des Innenteils den Verkauf anzukurbeln.
In Österreich ist die Situation anders als in Deutsch-
land. Hier ist es erst ab 1922 erlaubt, Zeitungen auf
der Straße zu vertreiben.93
In den 1920er Jahren gehen viele große deutsche
illustrierte Wochenzeitungen dazu über, für den Um-
schlag ein seitenfüllendes, ausdrucksstarkes Foto
zu verwenden. Der Zeitungskopf wird grafisch ent-
schlackt und vereinfacht, Vignetten und andere Or-
namente verschwinden von der Titelseite. Allerdings
wird in der Regel an der Serifenschrift des Titels
festgehalten. Im Innenteil löst sich die feste Spalten-
einteilung immer öfter auf, um den Bilderzählungen
mehr Platz einzuräumen. Texte und Bilder werden
immer stärker verzahnt, auf diese Weise entstehen
eindrucksvolle Bildgeschichten. Ende der 1920er Jah-
re setzt sich die professionell gestaltete Fotoreportage
als innovative Erzählform durch.
Anfang der 1930er Jahre beginnen die Wiener Bil-
der mit einer zaghaften Modernisierung ihrer Auf-
machung. Das interessante Blatt hingegen sperrt sich
weiterhin gegen eine entsprechende Öffnung. Der
Chefredakteur der Zeitung, Josef Papanek, der um
1930 bereits über zwei Jahrzehnte im Amt ist und
wenige Jahre vor der Pensionierung (1937) steht,
sieht offenbar wenig Anlass, das Blatt grundlegend
zu reformieren. Bei den Wiener Bildern hingegen
macht sich die Neuausrichtung nach einem 1932
erfolgten Generationenwechsel in der Chefredaktion
bemerkbar. Der langjährige Leiter des Blattes, Mo-
riz Band (1964 –1932), stirbt Ende Juli 1932.94 Neu-
er Chefredakteur wird Hans Ewald Heller. Er leitet
sofort eine Modernisierung des Blattes ein, die im
Januar 1933 umgesetzt wird. „Von heute an“, so teilt
er den Lesern am 8. Januar 1933 mit, „erscheint die
Titelseite der ‚Wiener Bilder‘ in neuer Aufmachung.
Wir gehen von dem bisherigen Titel, der, einer ande-
ren Epoche entspringend, unserer ersten Seite ihre
Charakteristik verliehen hat, ab und folgen dem Rufe
der Zeit. Nichtsdestoweniger versuchen wir, unsere
Eigenart zu wahren und behielten den Stephansturm,
das Symbol der Stadt, nach der unsere illustrierte Wo-
chenschrift benannt ist, im Titelkopfe bei.“95 Die Titelseite setzt nun auf ein großes aussa-
gekräftiges Foto, die antiquierte Vignette im Kopf
der Zeitung wird entfernt (Abb. 23). Aber auch im
Innenteil gibt es Neuerungen. Die Gestaltung wird
etwas moderner und dynamischer, die Bilder erhal-
ten deutlich mehr Raum. Hans Ewald Heller ist kein
zurückgezogener Chefredakteur. Er schreibt selbst re-
gelmäßig im Blatt. Darüber hinaus fotografiert er und
gestaltet – meist unter dem Kürzel H. E. H. – immer
wieder Fotoreportagen zu Themen des Alltags.96 Un-
ter seiner Leitung setzt sich die Fotoreportage in den
Wiener Bildern endgültig durch. Heller ist es auch,
der zahlreichen talentierten jungen Fotografen und
Fotografinnen ein Forum für Fotoreportagen bietet.
Zu ihnen zählen u. a. Steffi Schaffelhofer, Lena Schur,
Robert J. Bohl oder der Reisefotograf Herbert Tichy,
die teilweise auch für die anderen Zeitungen des Ver- Abb. 22 Ausdrucksstarke,
seitenfüllende Fotos gehören
um 1930 zum Markenzeichen
moderner Titelblattgestaltung.
Kölnische Illustrierte Zeitung,
23.
August 1930. Foto: Kluger-
Szigethy.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang