Seite - 174 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Bild der Seite - 174 -
Text der Seite - 174 -
174 Bilder für alle · Die Welt der Magazine und Revuen
Überraschung gezeigt, was es kann. Dieses erwachte
österreichische Selbstbewußtsein und Selbstvertrau-
en soll auch in kommenden helleren Zeiten gepflegt
werden und seinen eigenen österreichischen Aus-
druck finden.“11
Das Anfang der 1920er Jahre auf monatlich 40
bis 50 Seiten angewachsene Magazin adressiert ein
gehobenes Bürgertum. Die Zeitschrift ist bewusst
edel aufgemacht, enthält in jeder Ausgabe mehrere
farbig gedruckte Kunstbeilagen und die Modebeilage
Die Damenwelt. In den ersten Jahren bleiben Aufma-
chung, grafische Gestaltung und der Einsatz der Fotos
noch sehr konventionell. Die Titelseiten sind anfangs
mit einer kleinformatigen aufgeklebten Fotografie,
später mit einer farbigen Zeichnung und schließlich
gelegentlich auch mit gedruckten Fotos illustriert.
Im Innenteil jedoch setzt die Zeitschrift von Anfang
an auf Fotos. Diese werden in den ersten Jahrgängen
ohne größeren Anspruch in das zweispaltige (später
dreispaltige) Layout integriert. Bis etwa 1920 werden
die im Kupfertiefdruck gedruckten Bilder noch ma- nuell eingeklebt, später gedruckt. Viele bedeutende
österreichische Fotografen veröffentlichen in der Mo-
dernen Welt. Die Zeitschrift ist somit eine wichtige
Plattform v. a. der gemäßigt modernen Fotografie.
Neben Madame d’Ora, die mit ihren Aufnahmen in
fast in jedem Heft präsent ist, sind die bekanntesten
Wiener Ateliers, etwa Setzer, Schein, Löwy, Glogau,
Kolliner, Fleischmann, Geiringer/Horovitz und zahl-
reiche andere, vertreten.
Ende der 1920er Jahre setzt eine schrittweise gra-
fische und gestalterische Modernisierung der Zeit-
schrift ein. Zwischen 1926 und 1928 wird der Um-
schlag modernisiert. Das Format wird verkleinert, die
farbige Zeichnung wird nun öfter durch einen einge-
färbten Fotodruck ersetzt. Die äußere Neugestaltung
geht freilich nicht mit einer inhaltlichen Auffrischung
einher, im Gegenteil. 1927 beginnt die Zeitschrift mit
der Veröffentlichung einer Serie unter dem Titel „Das
schöne Österreich“. Diese Artikelreihe zur Förderung
des österreichischen Fremdenverkehrs erscheint in
enger Kooperation mit dem Bundesministerium für
Handel und Verkehr. Sie leitet eine in den folgenden
Jahren weiter zunehmende antiurbane Tendenz der
Zeitschrift ein – auch in der Fotografie. Immer offe-
ner stellt sich die Redaktion hinter die konservative,
später autoritäre Politik der Regierung. Im Septem-
ber 1933 erscheint ein Sonderheft zum Allgemeinen
Deutschen Katholikentag in Wien. Das passende
Frontispizbild zu dieser Nummer liefert Rudolf Kop-
pitz mit einem Porträt des konservativen Kardinals
Theodor Innitzer (Abb. 6), der das autoritäre Regime
Dollfuß offen unterstützt. Anfang Oktober 1933 geht
die Zeitschrift noch einen weiteren Schritt auf die
Regierung zu und veröffentlicht eine Bildseite unter
dem Titel „Bundeskanzler Dollfuss’ Wochenende“. Die
Fotos stammen vom Pressefotografen Leo Ernst.12
Obwohl sich die Moderne Welt in den 1930er Jah-
ren allmählich neuen, erzählerischen Fotoformaten
öffnet und hin und wieder auch Fotoreportagen
bringt13, gehört sie im Kreis der illustrierten Magazi-
ne zu den konventionellsten Publikationen. Die Bühne
und das Wiener Magazin reagieren viel offener auf
die neuen ästhetischen Tendenzen. Gegen Ende der
1920er Jahre tauchen im Layout dieser Zeitschriften
moderne Entwürfe und Bilder auf. Die Fotografie
Abb. 6 Porträt des Wiener
Kardinals Theodor Innitzer
anlässlich des Allgemeinen
Katholikentages
im September
1933 in
Wien. Seit Anfang der
1930er Jahre unterstützt die
Moderne Welt offen
die kon-
servative, ab 1933 diktatorisch
agierende Regierung. Moderne
Welt, Heft 12, 1933, S.
7. Foto:
Rudolf Koppitz.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang