Seite - 192 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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192 Bilder für alle · Die Welt der Magazine und Revuen
des ersten Heftes, das am 9. März 1924 erscheint,
betont die Redaktion der Radio-Welt, dass sich die
Zeitschrift „an jedermann“ wende. Denn: „Radio ist
für alle.“52 Und weiter heißt es: „Radio ist eine Mas-
senangelegenheit. Wir wenden uns an den, der schon
einen Radioapparat hat und an den, der ihn erst ha-
ben möchte. Wir werden ihn sachkundig beraten.“53
Um diesen allumfassenden Hörerkreis auch visuell
hervorzuheben, bringt die Zeitschrift in einem ihrer
ersten Hefte das Bild einer strickenden Großmutter auf dem Umschlag, die, über die Radiokopfhörer, in
das akustische Programm vertieft ist. Die Botschaft
ist klar: Vom Kind bis zur Großmutter – alle hören
Radio. Und alle lesen die Radiozeitschrift.
Der Beitrag dieser einfach aufgemachten, populär
gehaltenen Wochenmagazine zur Herausbildung ei-
nes kleinbürgerlichen Massenkollektivs in der Zwi-
schenkriegszeit ist nicht zu unterschätzen. Bis heute
ist dieses Thema kaum untersucht. In der Politik der
1920er und 1930er Jahre ist dieses Kollektiv keine ab-
strakte Größe. Das Kleinbürgertum macht sich als po-
litische Gruppierung zunehmend auch in der Politik
bemerkbar – als Stimmenreservoir für populistische
Bewegungen. Im politischen Populismus wird die
Kategorie „jedermann“ zum Ideal des erwünschten
gesellschaftlichen Durchschnitts und zugleich zum
politischen Kampfbegriff gegen alles Abweichende.
Der Rundfunk, und ebenso die Rundfunkzeitschrif-
ten, spielen also eine wichtige Rolle im Prozess der
Herausbildung kleinbürgerlicher, autoritär geführter
Massenbewegungen. In den 1930er Jahren wird das
Radio immer stärker zum schichtenübergreifenden,
alle erreichenden Propagandainstrument in den Hän-
den der Diktatur.
Am Beispiel der Radio-Welt lässt sich dieser all-
mähliche Schwenk von der populären Unterhaltungs-
zeitschrift zum Propagandamedium deutlich nach-
zeichnen. Die 1924 gegründete Zeitschrift begleitet
den Aufstieg des Radios zum Massenmedium. Auf
diesem Weg wird zwar ihr Erscheinungsbild profes-
sionalisiert, der Umfang nimmt zu. Dennoch bleibt
sie ihrem Selbstverständnis einer einfachen Zeit-
schrift für den Durchschnittsleser stets treu. Die Ra-
dio-Welt, die jeweils am Sonntag erscheint, ist zwar
von Anfang an im Kupfertiefdruck hergestellt, aber
ihre grafische Aufmachung ist – zumindest bis Mitte
der 1930er Jahre – simpel. Für den Umschlag wird ein
grafisch einheitlich gestaltetes Hintergrundbild ver-
wendet, das die weltumspannende Macht des neuen
Abb. 29 Bundeskanzler Engelbert Dollfuß spricht im Radio.
Die
Radio-Welt steht seit ihrer
Gründung 1924 der christlichsozialen
Regierung nahe. Nach der Ausschaltung des Parlaments
1933
wird sie zum Propagandaforum für die Diktatur. Radio-Welt,
19.–
25.
März
1933, Titelseite. Foto: Radiofot.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang