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193Wochenzeitung
für jedermann: Die Radio-Welt
Mediums signalisieren soll. In dieses wird ein kleines
bis mittelgroßes Foto eingefügt. Auch der Innenteil ist
einfach gestaltet. In das dreispaltige Textraster wer-
den zahlreiche Fotos eingefügt. Vorzugsweise werden
Porträts und Künstlerfotos aus bekannten Wiener
Ateliers verwendet, etwa von Sängerinnen und Sän-
gern, die auch im Radio zu hören sind.54
Über die Auflagenentwicklung der Zeitschrift ist
nichts bekannt, sie dürfte aber parallel zur rasanten
Zunahme der Radiohörer deutlich ansteigen.55 Darauf
deutet der Umfang hin, der sehr schnell zunimmt,
1927 bereits rund 70 Seiten beträgt und bis 1929
zeitweise auf 120 Seiten anwächst.56 Aber auch die
rasche Zunahme der Anzeigen, v. a. Ende der 1920er
Jahre, lässt darauf schließen.
Je stärker sich um 1930 der politische Kampf zwi-
schen links und rechts zuspitzt, desto stärker wird
die Radio-Welt, die anfangs kaum über politische The-
men berichtet, in die parteipolitische Auseinanderset-
zung hineingezogen. Es gelingt der christlichsozialen
Regierung mehr und mehr, ihren Einfluss auf den Ra-
diosender und die Berichterstattung geltend zu ma-
chen. Anfang der 1930er Jahre nehmen die Attacken
der Christlichsozialen gegen die in ihren Augen zu
regierungskritische Führung der Radio-Verkehrs-AG
(RAVAG) massiv zu. Der Zugriff des Staates auf das
neue Medium wird stärker. Spätestens 1933 ist der
Sender auf Linie gebracht und unter staatlicher Kon-
trolle. Im März 1933, nach der Ausschaltung des Par-
laments, nutzt Kanzler Dollfuß das Medium Radio
ausgiebig, um Propagandareden zu verbreiten. Die
Radio-Welt räumt ihm aus diesem Anlass die gesamte
Titelseite ein (Abb. 29).57
Die autoritäre Wende in der Regierung, die mit ei-
ner patriotisch-konservativen Propagandaoffensive
einhergeht, schlägt sich nun auch in der Radio-Welt
nieder. Die Berichterstattung ist zunehmend regie-
rungsnah, die Zeitschrift unterstützt die Diktatur
ganz offen. Der Schriftleiter Franz Anderle, der die
Zeitschrift bis Herbst 1937 leitet58, ist den neuen
Machthabern gegenüber überaus aufgeschlossen. Er
hat seine Karriere während des Ersten Weltkriegs
als Leiter des militärischen Radiodienstes der k. u. k. Armee begonnen. In den 1920er Jahren ist er für
den Aufbau des Heeresfunknetzes zuständig. Die
Radio-Welt führt er zunächst nebenbei, nach seiner
Pensionierung 1931 hauptberuflich. Er unterstützt
die politische Indienstnahme des Rundfunks und
publiziert 1935 in der Schriftenreihe des Wiener
Heimatschutzes, einer rechten, paramilitärischen
Vorfeldorganisation im austrofaschistischen „Stän-
destaat“.59
Mitte der 1930er Jahre kommt es zu einer Neu-
ausrichtung der Radio-Welt. Nach mehreren Eigentü-
merwechseln zieht die Redaktion in die enteigneten
Räumlichkeiten des ehemaligen sozialdemokrati-
schen Vorwärts-Verlags in der Rechten Wienzeile 97
ein und nutzt auch die hauseigene Druckerei.60 Als
Herausgeber und Verleger tritt nun Josef Ulbricht auf.
Ab 5. April 1936 erscheint die Zeitschrift in erneuer-
ter, deutlich modernisierter Aufmachung. Für den
Umschlag wird nun ein ganzseitiges Foto verwendet,
der Schriftzug wird ins Bild gesetzt. Auch im Innen-
teil erscheint die Zeitschrift jetzt ansprechender. Die
Radio-Welt, die nun nicht mehr im Kupfertiefdruck
hergestellt wird, erweitert auch ihr inhaltliches Spek-
trum: Aus dem reinen Radioblatt ist eine illustrierte
Publikumszeitschrift geworden, die allen Themen des
Alltags Platz einräumt, von der Mode bis zum Film.
Auch Fotoreportagen erscheinen nun regelmäßig. Die-
se inhaltliche Öffnung bedeutet freilich nicht, dass
die Zeitschrift die Nähe zur Regierung aufgibt.
Im März 1938 wechselt die Redaktion mit fliegen-
den Fahnen ins Lager der Nationalsozialisten über.
Am 10. April 1938, dem Tag der Volksabstimmung
über den „Anschluss“ an das Deutsche Reich, prangt
ein Bild Hitlers auf der Titelseite der Radio-Welt, da-
runter lesen wir das nationalsozialistische Propa-
gandamotto: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“.61 Doch
obwohl die Redaktion im März 1938 die politische
Ausrichtung des Blattes über Nacht an das neue Re-
gime anpasst und in den folgenden Wochen immer
wieder in großer Aufmachung über die neuen politi-
schen Machthaber berichtet, vermag sie die Existenz
der Zeitschrift nicht zu retten. Sie wird am 25. Sep-
tember 1938 eingestellt.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang