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195Reaktion
und Moderne
allerdings wirft er ein interessantes Licht auf den
Übergang zur Diktatur. Dieser erfolgt nicht, wie oft
angenommen wird, als klarer Bruch mit der Ver-
gangenheit. Die Realität ist weitaus vielschichtiger.
Natürlich gibt es im Februar 1934 eine Welle der
Repression und Verfolgung. Aber es gibt auch Konti-
nuitäten, personelle, institutionelle, ästhetische. Am
Fall Weyr lässt sich der komplexe Übergang von der
demokratischen Presse zur Propagandamaschinerie
der Austrofaschisten besonders gut nachzeichnen.
Die Pressepolitik der Regierung arbeitet zwar mit
den Mitteln der Zensur und der Verbote. Daneben
gibt es aber auch den Versuch, bestehende publizis-
tische Projekte unter neuen Vorzeichen weiterzufüh-
ren, funktionierende Einrichtungen zu nutzen und
gestalterische Erfahrungen, auch jene der politischen
Linken, zu absorbieren.4
Dieser Aspekt der austrofaschistischen Kulturpo-
litik ist bis heute kaum untersucht worden.5 Um die
Politik und Ästhetik des „Ständestaates“ präziser fas-
sen zu können, ist also eine Erweiterung der Perspek-
tive notwendig. Die regressive, rückwärtsgewandte,
durch und durch konservative Grundhaltung ist zwar
das dominierende Element der austrofaschistischen
Ideologie. Aber man sollte nicht übersehen, dass
das Regime auch modernisierende Effekte hat. Das
betrifft auch den Bereich der Kulturpolitik. Zwar ist
auch hier die Wende hin zur rückwärtsgewandten,
autoritären, katholisch-konservativen, antiurbanen
Ideologie vorherrschend, aber in diese Programma-
tik mischen sich immer wieder Elemente der Moder-
ne. Vor allem abseits der auflagenstarken populisti-
schen christlichsozialen Propagandapublikationen
wie etwa der Österreichischen Woche, die ab 1933 das
Hauptforum der ländlich-konservativen Ideologie ist,
gibt sich die Ästhetik des Regimes durchaus auch
gemäßigt modern. Auch die Gestaltung der großen
staatstragenden Ausstellungen in der zweiten Hälf-
te der 1930er Jahre greift, bei aller konservativen
Grundausrichtung in den Inhalten, in gestalterischer
Hinsicht sehr dezidiert Traditionen der Moderne
auf – etwa in der Grafik und Typografie.6 Unter ande-
rem kommt die Bildstatistik, die im sozialdemokra-
tischen Umfeld der 1920er Jahre entwickelt wurde 7,
ab 1935 in den austrofaschistischen Ausstellungen zum Einsatz.8 Aber auch in der Architektur, in der
Plakatgestaltung oder der Gebrauchsgrafik kommt
es während der Zeit des Austrofaschismus zu einer
Synthese zwischen konservativen Tendenzen und
modernen Gestaltungsformen.9
Beispielhaft für diese Synthese ist die Monatszeit-
schrift Profil10, die ab 1934 auf Initiative von Clemens
Holzmeister die Nähe zum Regime sucht und zum
Sprachrohr des Neuen Werkbundes wird (Abb.
2).11
Die Zeitschrift, die von Erika Kriechbaum geleitet
wird, betreibt inhaltlich und gestalterisch eine subtile Abb.
2 Die Zeitschrift Profil
wird
von Clemens Holzmeister
1934 auf Regierungslinie
gebracht. Sie ist ein Beispiel
für die Synthese zwischen
Tradition und Moderne im
Austrofaschismus. Profil, Heft
1,
Januar 1936, Titelseite. Gestal-
tung: Joseph Binder.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang