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196 Bilder als Propaganda · Die illustrierte Regierungspresse nach 1934
Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne.
Sie ist – zumindest in manchen Heften – ein Forum
gemäßigt moderner Positionen (etwa in der Gra-
fik – v. a. durch die Beiträge von Joseph Binder12 –, in
der Fotografie13 oder der Architektur), ohne freilich
die Nähe zur Regierung aufzugeben und die katho-
lisch-konservative, antiurbane Grundhaltung über
Bord zu werfen. Und so stehen, zumindest am An- fang, traditionsverbundene und moderne Beiträge
und Themenhefte nebeneinander. Allmählich aber
setzt sich die konservative Linie stärker durch. Ab
1934/35 erscheinen immer mehr Beiträge, die den
vorherrschenden regressiven politischen Tendenzen
passgenau entsprechen und Themen aufgreifen wie
Land und Leute, Brauchtum und Trachten, Kirchen-
bau, Österreichs patriotische Landschaften, Salzbur-
ger Festspiele u. Ä. Im September 1934 etwa berichtet
die Zeitschrift über den Bau der Seipel-Dollfuß-Ge-
dächtniskirche in Wien-Ottakring (Entwurf: Clemens
Holzmeister) und Mitte 1936 über das Vorhaben, den
Platz vor der Votivkirche (heute Sigmund-Freud-
Park) in Dollfußplatz umzubenennen und darauf ein
Franz-Joseph-Denkmal zu errichten. Ende desselben
Jahres wird die Zeitschrift Profil ohne Angabe von
Gründen eingestellt. Spätestens jetzt hat sich die
konservative, staatstragende Ästhetik des Regimes
flächendeckend durchgesetzt.
Kontinuitäten
und Brüche: Die Bunte Woche
Als Siegfried Weyr Anfang März 1934 an einer
Neuausrichtung der Bunten Woche zu arbeiten be-
ginnt, ist die Zeitung bereits seit zwei Jahren auf dem
Markt. Die erste Ausgabe erscheint am 6. November
1932. Zu dieser Zeit steht der von Julius Braunthal
geführte sozialdemokratische Medienkonzern auf
dem Höhepunkt seiner Macht. Nach der erfolgreichen
Gründung der aufwendig gestalteten Parteiillustrier-
ten Der Kuckuck will Braunthal das sozialdemokra-
tische Medienimperium weiter zügig ausbauen. Ein
noch fehlender Baustein ist in seinen Augen eine auf-
lagenstarke, billige, populär aufgemachte, weitgehend
unpolitische Wochenzeitung, die sich nicht scheuen
sollte, auch bürgerliche Themen anzusprechen.14
Diese Aufgabe erfüllt die Bunte Woche. Die großfor-
matige, auf Zeitungspapier gedruckte Illustrierte ist
als Beilage des sozialdemokratischen Kleinen Blattes
geplant, kann aber auch getrennt bezogen werden.
Ihre Startauflage liegt bei stolzen 72 000 Exemplaren,
die Zeitung kann sich also durchaus mit der Reich-
weite bürgerlicher Wochenblätter messen.15 In Auf-
machung und Gestaltung allerdings hinkt die Zeitung
professionell gemachten Illustrierten weit hinterher.
Abb.
3 „Es wird wieder
blühen!“ Die erste Nummer
der Bunten Woche prophezeit,
dass die nach dem Bürgerkrieg
siegreiche christlichsoziale
Dik-
tatur einen neuen politischen
Frühling hervorbringen
wird.
Bunte Woche, 25.
März 1934,
Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang