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197Kontinuitäten
und Brüche: Die Bunte Woche
Das Blatt räumt zwar der Fotografie einen gewissen
Raum ein, aber das Layout ist einfallslos, die Bilder
werden in der Regel ohne Quellenangabe rein illus-
trativ in den Text gesetzt. Auf Kupfertiefdruck wird
verzichtet. Immerhin geht das Konzept Braunthals
auf: Der unpolitische Charakter der Zeitung hat zur
Folge, dass sie bis 1934 nie aus politischen Gründen
konfisziert wird.16
Als Siegfried Weyr im März 1934 die Bunte Wo-
che übernimmt, unterzieht er sie zunächst einer ra-
dikalen grafischen Umgestaltung. Er verkleinert das
Format, stellt – zunächst im Mantelteil – auf Kupfer-
tiefdruck um und verbessert die grafische Aufma-
chung. Die Fotografie erhält nun einen weit höheren
Stellenwert. Weyr profitiert von seiner jahrelangen
Erfahrung beim Kuckuck, er kann auf einen Pool be-
währter Fotografen und Agenturen zurückgreifen.
Und so verwundert es nicht, dass er die Bunte Woche
in mancher Hinsicht dem Kuckuck annähert. Auch in-
haltlich richtet er das Blatt neu aus. Er verabschiedet
sich vom Konzept einer engagierten, angriffslustigen
Parteiillustrierten, das er mit dem Kuckuck verwirk-
licht hat und passt die Programmatik ganz eindeutig
den neuen politischen Machtverhältnissen an. Auch
wenn die Zeitung sich nach wie vor an ein breites Pu-
blikum wendet und die Tagespolitik nicht im Vorder-
grund steht, ist von Anfang an klar, dass sie in großer
Nähe zur austrofaschistischen Regierung steht.
Bereits das Titelmotiv der ersten Nummer nach
der Übernahme17, die am 25. März 1934 erscheint,
spielt subtil auf die neue politische Epoche an
(Abb.
3). Wir sehen ein scheinbar unpolitisches Mo-
tiv – zwei Bäume ohne Blätter in weiter Landschaft.
Ganz unten ins Bild gesetzt ist das programmatische
Motto „Es wird wieder blühen!“ Die Botschaft ist klar.
Nach dem Bürgerkrieg und der Niederlage der Sozial-
demokraten wird das siegreiche Regime einen neu-
en Frühling hervorbringen. Wenige Wochen später
wird die politische Stellungnahme des Blattes noch
weitaus deutlicher. Als am 1. Mai 1934, nicht zufällig
am ehemaligen Tag der Arbeit und der Arbeiterbe-
wegung, die Republik auch formal abgeschafft wird
und die neue „ständestaatliche“ Verfassung in Kraft
tritt, berichtet die Bunte Woche über die staatlich or-
ganisierten Massenaufmärsche, mit denen das Regi- me das Ereignis feiert. Die größten Feierlichkeiten
finden in Wien statt, wo die Standesorganisationen
zu einem monumentalen Huldigungszug antreten.
Das Titelfoto der Bunten Woche zeigt die Gruppe der
„kulturellen Gemeinschaften“ mit ihrem Standesab-
zeichen (Abb.
4).
Wie sehr Weyr mit der Bunten Woche in Aufma-
chung, Gestaltung und fotografischer Ausrichtung Abb.
4 Huldigungszug der
Standesorganisationen zur
Feier der neuen
Verfassung
am 1.
Mai 1934. An
diesem
Tag wird die neue
ständische
Verfassung ausgerufen
und die
Republik formal abgeschafft.
Bunte Woche, 6.
Mai
1934,
Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang