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204 Erzählende Bilder · Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit
senden Reporter, er spitzt die Dramaturgie der Er-
eignisse deutlich zu und nimmt es mit der Wahrheit
nicht so genau. Ganz so rasch folgen die Ereignisse
in der Wirklichkeit nicht aufeinander. Eine Stunde
nach der Entwicklung der Bilder sind die gedruckten
Fotos keineswegs schon in der Öffentlichkeit. Aber
in einer Hinsicht trifft Rübelt sehr wohl die Realität:
Der durchschnittliche Pressefotograf ist im Grunde
ein Tagelöhner, der für sein Geld hart arbeiten muss
und dessen soziales Image nicht besonders hoch ist.
Er ist ein – oft anonymer – Zuarbeiter der Zeitungen
und Zeitschriften und meist weit davon entfernt, ein
Held zu sein, der im Licht der Öffentlichkeit steht.
„Die Arbeit des Bildberichterstatters“, so Rübelt
weiter, „ist hart und mühselig, ja oft gefährlich und
erfordert einen ganzen Mann, der sich auf seine Ner-
ven und seinen Körper wie auf seine Kamera verlas-
sen kann. Jagende Hast ist sein Lebenselement, stets
muß er startbereit sein – wenige sind diesen Anforde-
rungen gewachsen. Und doch ist die Aufgabe lockend,
reizvoll und schön. Mit seinen Augen sehen Tausende
die Ereignisse dieser Welt!“2
Vom Einzelbild zur Serie
Ende der 1920er Jahre, als dieser Beitrag er-
scheint, beginnt sich die Rolle des Pressefotografen
zu verändern. Es gibt zwar weiterhin zahllose foto-
grafische „Taglöhner“, die das Gros der Zeitungsfoto-
grafien liefern. Aber nun steigen die Anforderungen
an die Fotografen, das Geschäft beschleunigt sich,
die Konkurrenz ist groß. Einige Tageszeitungen be- ginnen regelmäßig Fotografien zu drucken. Das Feld
der Pressefotografen differenziert sich aus. „Viele“, so
Rübelt, „kommen über das gestürzte Pferd und den
Straßenbahnzusammenstoß nicht hinaus und bleiben
Handwerker, manche kommen weiter, bleiben aber,
ein Fluch der Routine, in der Schablone stecken, aber
einigen wenigen ist es vergönnt, als wahre Pioniere,
als frei schaffende Künstler, der Menschheit Dinge
zu vermitteln, die nur Auserwählte in seltenen Mo-
menten erblicken können. Sie alle aber gehören zur
großen Armee, die in unbestechlichen Lettern die
Chronik dieser Erde schreibt.“3 Es ist nicht verwun-
derlich, dass Rübelt sich selbst den letztgenannten
Pionieren zurechnet. Selbstbewusst und nicht ohne
Pathos stellt er sich an den Beginn eines neuen foto-
grafischen Zeitalters, das der „frei schaffende Künst-
ler“ mit der Kamera grundlegend mitbestimmt.
Lothar Rübelt ist einer der ganz wenigen öster-
reichischen Pressefotografen, die bereits in den
1920er Jahren im Licht der Öffentlichkeit stehen. Er
versteht es schon in jungen Jahren (1929 ist er 27
Jahre alt) erfolgreiches Marketing in eigener Sache
zu betreiben. Als das Wiener Magazin 1932 seine
wichtigsten Mitarbeiter in Bildern und kurzen Texten
vorstellt, bekommt auch Rübelt einen Eintrag. Neben
einem kreisrunden Brustbild (Abb.
2) heißt es: „Lo-
thar Rübelt, einer der Nettesten. Man ruft ihn an, er
ist da. Man braucht etwas Ausgefallenes, er bringt es.
Er ist höflich und heiter, ein ausgesprochen smarter
Mensch. Leider etwas geldgierig.“4
„Das Jahr 1929 war in verschiedener Hinsicht ein
Markstein in meiner Laufbahn“, erinnert sich Rübelt
Jahrzehnte später. Selbstbewusst reklamiert er auch
im Rückblick für sich, der Pionier der österreichi-
schen Reportagefotografie gewesen zu sein. „Im An-
fang war die Begegnung mit der Leica (Kleinbildka-
mera), die entscheidend war für die Freizügigkeit der
Bildberichterstattung, die sich vom Einzelbild zur ‚Se-
rie‘ entwickelt hatte. Im Dezember kam dann der ers-
te ‚Auftrag‘ einer Illustrierten, noch dazu im Ausland:
der Giftmordprozeß in Szolnok für das ‚Interessante
Blatt‘ in Wien durch Chefredakteur Papanek. Auf
meinem Spezialgebiet, der Sportphotographie hatte
ich mir längst einen Namen gemacht, aber nun galt
es, den Stil und die Technik in die Zeitgeschichte
Abb.
2 „Ein ausgesprochen
smarter Mensch. Leider etwas
geldgierig.“ Der
österreichische
Pressefotograf Lothar Rübelt
wird im
Wiener Magazin
als
Mitarbeiter vorgestellt. Wiener
Magazin, Heft 10, Oktober
1932, S.
47.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang