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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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231 Bildgeschichten ohne Worte tum und Landleben. Auch von Perckhammer dient sich dem NS-Regime willig an. Neben nüchtern-sach- lichen Werbeaufnahmen (u. a. für die deutsche Mode- und Gesellschaftszeitschrift die neue linie) macht er ab Mitte der 1930er Jahre auch gefällige Genreauf- nahmen, etwa von knorrigen Tiroler Bauern oder ländlichen Trachtenszenen. Solche Motive passen in den 1930er Jahren sehr gut in das zunehmend kon- servativer werdende politisch-gesellschaftliche Klima in Österreich. Dass gemäßigte Moderne, innovative Gestaltung und konservative politische Grundhaltung gut verein- bar sind, zeigt eine zweiseitige Fotoreportage Lechen- pergs, die im Mai 1934 in der Zeitschrift Moderne Welt erscheint (Abb.  29).71 Sie trägt den Titel „Kärnt- nerstraße 11 bis 1 Uhr“ und fängt die elegante und entspannte Atmosphäre der wichtigsten Wiener Ge- schäftsstraße um die Mittagszeit ein. Ihren besonde- ren Reiz bezieht diese Inszenierung daraus, dass vie- le der Figuren, spazierende Frauen, Kinder auf dem Heimweg von der Schule, Geschäftsleute, Taxifahrer usw., grafisch freigestellt sind und auf dem Weiß der Zeitungsseiten geradezu zu schweben scheinen. Zu- sammengehalten werden all diese isolierten Szenen durch einen launigen Text, der die Protagonisten wie auf einer Bühne zusammenführt. „Nirgends“, so heißt es zu den Bildern, „ist der Kontakt zwischen den Menschen so schnell gefunden, nirgends trifft sich so jeder mit jedem, wie in der Kärtnerstraße.“72 Das Fazit lautet: „Der ganze Zauber, der diesem Wien im- mer nachgerühmt wird, die ganze Harmlosigkeit und Fröhlichkeit seiner Einwohner scheint in dieser Stra- ße konzentriert und zur Schau gestellt. Und jeder, der in diese helle Straße einbiegt, muß mit, muß für fünf Minuten seinen grauen Alltag vergessen, muß sich den vielen fröhlichen Gesichtern, dem zwanglosen Rhyth- mus anpassen. Ein großer Film wird da zwischen 11 und 1 gedreht und sowohl der Verkehrsschutzmann wie ein beliebiger Dienstmann spielen mit. Und alle Rollen sind gut besetzt und die Leitung scheint in den Händen eines großen begabten Regisseurs zu sein.“73 Als diese Reportage im Mai 1934 erscheint, ist Österreich soeben zur Diktatur geworden. Wenige Monate zuvor, im Februar 1934, wurde in einem Bürgerkrieg die linke Opposition ausgeschaltet, am 1. Mai wird die Republik auch formal abgeschafft und durch eine neue „ständestaatliche“ Verfassung ersetzt. Lechenperg, der die blutigen Ereignisse im Februar selbst erlebt und darüber sogar exklusiv in der Berliner Illustrirten Zeitung berichtet hat74, blendet diese Vorgeschichte vollkommen aus und zeichnet in seiner Reportage bewusst ein friedliches, harmoni- sches Bild von Wien. Er stellt das noch vor Kurzem sozialdemokratische Wien am Beispiel der Kärntner Straße als Bilderbuchstadt zauberhafter Heiterkeit und Gelassenheit dar. Die angebliche „Harmlosigkeit und Fröhlichkeit seiner Einwohner“ will vergessen machen, dass hinter dieser Fassade der Unbeschwert- heit ein neues Regime mit eiserner Gewalt herrscht. Es ist kein Zufall, dass die Doppelseite in der Moder- nen Welt erscheint, die seit Anfang der 1930er Jahre einen immer konservativeren Kurs steuert und das neue austrofaschistische Regime offen unterstützt. Bildgeschichten  ohne  Worte Einen eigenen, sehr selbstständigen Stil in der Fotoreportage der 1930er Jahre entwickelt Robert Haas. Er ist einer der wichtigsten Mitarbeiter der 1934 gegründeten illustrierten Wochenzeitung Der Sonntag, für die er regelmäßig Reportagen zusam- menstellt.75 Aber auch in anderen Zeitschriften macht sich seine grafische und fotografische Hand- schrift bemerkbar. Der ausgebildete Grafiker und Typograf,76 der erst Anfang der 1930er Jahre beruf- lich zur Fotografie stößt, ist einer der wenigen Foto- grafen, die ein gewichtiges Wort bei der Gestaltung mitzureden haben. Er hat selbst Erfahrung in der Zeitschriftengestaltung77 und experimentiert gerne auch mit fotografischen Mitteln. Anfang August 1935, rechtzeitig zu den Salzburger Festspielen, stellt Haas für die Zeitschrift Die Bühne eine Art Fotoreportage zusammen, die – außer dem Titel und dem Hinweis auf den Fotografen – ganz ohne redaktionellen Text auskommt (Abb.    30). Die Bildgeschichte mit dem Titel „Alle Straßen führen nach Salzburg“ wirft einen ungewohnten Blick auf die Festspielstadt Salzburg. Ihr internationales Flair wird anhand eines Tableaus von Kfz-Länderkennzeichen vorgeführt, die auf der Doppelseite wie wild zusammengewürfelt erscheinen.
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Untertitel
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Autor
Anton Holzer
Verlag
Primus Verlag
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Abmessungen
23.0 x 29.0 cm
Seiten
498
Schlagwörter
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Kategorie
Medien

Inhaltsverzeichnis

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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