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Girls und Jazz
miere hat, kommt dies deutlich zum Ausdruck. Die
rasante Handlung endet mit dem Siegeszug des Jazz,
der „schwarzen“ amerikanischen Musik, die nicht
nur den europäischen Kontinent, sondern gleich die
ganze Welt erobert.
Ende der 1920er Jahre liegt Österreich im Jazz-
fieber. Jazz-Konzerte, Jazz-Revuen, Jazz-Opern, Jazz-
Shows, Jazz-Filme – das importierte musikalische
Lebensgefühl wird in allen künstlerischen Formaten
durchexerziert, auf der Bühne ebenso wie auf der
Leinwand. 1928 produzieren die Wiener Kammer-
spiele eine Revue-Operette mit dem Titel „Flirt und
Jazz“. Wieder stammt das Stück von Fritz Grünbaum
und Karl Farkas, Dirigent ist Peter Paul Kreuder. Das
Bühnenbild trägt ganz dem amerikanischen Zeitgeist
Rechnung (Abb.
7). Leicht bekleidete Frauen räkeln
sich zwischen stilisierten Schallplatten. Sie tragen Ton-
träger mit der Aufschrift „Columbia“ als Kopfschmuck.
Die amerikanische Plattenfirma „Columbia Records“
beherrscht das Bühnenbild, sie wird zum visuellen Motto des Stücks. Flirt und Jazz, die beiden Titelbe-
griffe der Revue, gehen in der erotisch-anzüglichen
Handlung eine Symbiose ein. Währenddessen werden
sämtliche amerikanische Stereotypen durchgespielt.
Mit dem Jazz untrennbar verbunden ist das Bild
des schwarzen Musikers. In der Bildwelt der Zwi-
schenkriegszeit taucht dieser aber selten als eigen-
ständige, positive Figur auf. Häufiger begegnet er uns
als Karikatur. In dieser verwandelt sich der schwarze
Jazzmusiker in eine zwiespältige Kreatur: Der eben
der Wildnis Entkommene tritt auf die Bühne der
großstädtischen Zivilisation – und wird dort bewun-
dert und zugleich gezähmt. Der Jazzmusiker ist also
nicht mehr als eine Art Spielgeselle im Hintergrund,
dessen Platz die von Weißen frequentierten Vergnü-
gungslokale der Metropolen sind. In einer Karikatur,
die anlässlich der nationalsozialistischen Machtüber-
nahme in Deutschland Anfang April 1933 auf der Ti-
telseite der Wiener Zeitschrift Die Muskete erscheint,
wird dieses Bild weiter zugespitzt (Abb.
8). Im Vorder-
Abb.
7 Die Revue-Operette
„Flirt
und Jazz“ in den Wiener
Kammerspielen (1928) trägt im
Bühnenbild der Amerikafaszina-
tion Rechnung. Das interessan-
te Blatt, 31.
Januar 1929, S.
8.
Foto: Atelier Willinger.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang