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280 Bubikopf und Zigarette · Bilder der „Neuen Frau“
Filmfirma in Umlauf gebracht, die nun offiziell „Car-
tellierifilm“ heißt. Carmen Cartellieri ist erfolgreich,
als Filmstar, als Bühnenschauspielerin, Produzentin
und als Schönheitskönigin. Neben Schauspielerin-
nen wie Liane Haid und Magda Sonja ist sie der Star
des österreichischen Stummfilmkinos der 1920er
Jahre. Gekonnt passt sie ihr Image immer wieder
den Stimmungen der Zeit an, sie spielt die verfüh-
rerische Femme fatale ebenso wie – gegen Ende des
Jahrzehnts – das süße Mädel aus der K.-u.-k.-Zeit. Girl, Bubikopf, Kindfrau
Mitte der 1920er Jahre hat sich das Bild der „Neu-
en Frau“ weitgehend durchgesetzt, etwa in der Mode,
im Film, in der Werbung. Ihrem Aussehen nach ist
die „Neue Frau“ leicht zu erkennen. Sie ist jung,
städtisch, selbstständig, selbstbewusst, attraktiv und
verführerisch. Stellvertretend für all diese Attribute
steht der „Bubikopf“, die berühmte Kurzhaarfrisur
mit burschikosen Anleihen. Allerdings trifft dieses
Bild weit eher auf die Wirklichkeit des Kinos und der
illustrierten Presse zu als auf die Realität des städti-
schen Alltags oder gar der Provinz. Der Großteil der
arbeitenden Frauen ist weiterhin in untergeordneten
und schlechter bezahlten beruflichen Positionen tätig
oder macht unbezahlte Haus- und Familienarbeit. Al-
lerdings: In einigen Dienstleistungsbereichen (Büro,
Sozialfürsorge, Unterricht, Gesundheitswesen) und
in manchen freien Berufen (etwa im Journalismus
oder der Architektur) sind nun deutlich mehr Frauen
tätig als vor dem Krieg. Das Bild der „Neuen Frau“
übernimmt vor diesem Hintergrund eine propagan-
distische Rolle: Es trägt dazu bei, die Spannungen
zwischen alten und neuen Ansprüchen, zwischen
Familie und Beruf, Ehe und Arbeit, Kindererziehung
und sexueller Attraktivität zu überbrücken.7
Die „Neue Frau“ ist demnach vielseitig und erfolg-
reich, sie schafft den Spagat zwischen Beruf, Ehe und
Familie mit Leichtigkeit. Dieses Bild entspricht also
weit mehr einem entrückten Ideal als der Wirklich-
keit. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität, Mitte
der 1920er Jahre, charakterisiert die Berliner Wo-
chenzeitschrift Die Dame die kurze und wechselvolle
Geschichte des neuen Frauentypus folgendermaßen:
„(...) der Krieg brachte, zuerst ganz unbemerkt, die
Geburt des Garçonne-Typus. (…). Nach dem Krieg
gab es zunächst Verwirrung. (…) Es konkurrierten
das sportlich und tänzerisch ertüchtigte ‚Girl‘ und die
sich selbst erhaltende ‚Garçonne‘. Das Girl schien zu
siegen, der Triumph dieses langbeinigen, wohlgebau-
ten, kirschmündigen und guckäugigen Mädchens
schien nicht mehr aufzuhalten. Aber da sie ganz und
gar nur physisches Produkt war, wurde sie uniform,
langweilig. Eine Gesellschaft moderner Frauenge-
stalten, gleich schlank, gleich biegsam, gleich kurz-
Abb.
4 Carmen Cartellieri
im
Look
der „Neuen
Frau“ beim
Skifahren am Semmering. Die
Kinowoche,
Nr.
4,
Februar
1920,
Titelseite. Foto: Cartellieri-Film.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang