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zur Tradition
Dieses Image ist freilich nicht nur für die junge
Sozialdemokratin oder Kommunistin reserviert. Es
taucht überall dort auf, wo die „Neue Frau“ als sport-
liche, engagierte, tätige Zeitgenossin imaginiert wird.
Im Sport, im Arbeitsleben, in der Freizeit. Und auch
die Frauenbilder in der Werbung passen sich in den
1920er Jahren dieser Rollenverschiebung an. An die
Stelle der sensiblen, unnahbaren Filmdiva tritt immer
öfter die sportliche Schönheit: kurzes, brav geschei-
teltes Haar, athletisch, braun gebrannt, blendend
weiße Zähne, ein Frauentyp, wie ihn zum Beispiel
eine Werbeanzeige für die Zahnpastamarke Pebeco
von 1927 vorführt (Abb.
8).
Zurück zur Tradition
In den frühen 1930er Jahren ist die Zeit für die
mondäne Bubikopf-Frau bereits wieder vorbei. Der
gesellschaftliche Mainstream entfernt sich zuneh-
mend von den androgynen Vorbildern der 1920er
Jahre. Das Haar der Frauen wird wieder länger, mit
der Dauerwelle kommt die Lockenmode zurück. Der
Rückzug der „Neuen Frau“ erfolgt freilich nicht über
Nacht. Und nicht ohne Grund. Zuallererst sorgen po-
litische und wirtschaftliche Konjunkturen für einen
Positionswechsel der berufstätigen Frauen: In Zeiten
der Krise und der Arbeitslosigkeit werden sie aus
dem Berufsleben zunehmend verdrängt. In Öster-
reich treten die Folgen der Weltwirtschaftskrise des
Jahres 1929 etwas verzögert ein. Der Höhepunkt der
Arbeitslosigkeit ist 1933 erreicht: 557 000 Menschen
sind ohne Arbeit, das sind über 20 Prozent der Be-
völkerung. Das Land bewegt sich zu dieser Zeit be-
reits in Richtung Diktatur. Im Frühjahr 1933 wird das
Parlament ausgeschaltet, ein Jahr später die offene
Diktatur des „Ständestaates“ errichtet. In den folgen-
den Jahren sind ganz andere Frauenbilder gefragt
als jenes der „Neuen Frau“. Die „Idealfrauen“ wer-
den seit Anfang der 1930er Jahre sowohl in ihrem
Aussehen wie in ihrer Kleidung wieder konservativer
inszeniert. Immer öfter mischen sich patriotische Ac-
cessoires ins Bild, etwa Trachtenlook und ländliche
Kleidungsstile (Abb.
9). Die öffentliche Präsenz von
jungen, selbstbewussten, unabhängigen Frauen geht
sichtbar zurück. Es gibt einen Gradmesser, der den Wandel im
Frauenbild sehr anschaulich dokumentiert: die Hei-
ratsanzeigen in den populären Zeitungen und Zeit-
schriften. Der Trend geht ab etwa 1930 immer stärker
in Richtung eines traditionellen Frauenbildes. Am
20. Juli 1934 inseriert ein Witwer mit zwei Kindern
in der Illustrierten Wochenpost, die sich im Unterti-
tel Unterhaltungsblatt für Jedermann nennt. Er sucht
„zwecks baldiger Ehe nette Frau oder Hausgehilfin
bis 38 Jahre mit etwas Ersparnissen“.14 In derselben
Zeitung gibt ein Wiener Anfang 1938, wenige Wochen
bevor die Truppen Hitlers in Österreich einmarschie-
ren, eine Annonce auf. Der Heiratswillige bezeichnet
sich als Katholik und sucht „Fräulein oder Witwe
ohne Bubikopf“.15 Abb.
9 Ab Anfang der 1930er
Jahre werden die Attribute der
„Neuen Frau“ zurückgedrängt.
An ihre Stelle treten konser-
vative und patriotische
Acces-
soires. Die Wienerin Hertha von
Haentjens, Miss Austria des
Jahres 1931. Die Muskete, Nr.
8,
1931,
S.
21.
Foto: Franz
Löwy.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang