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289Aufschwung
des modernen Tanzes nach 1918
etwa Gertrude Barrison, Loïe Fuller, Ruth St. Denis
und Isadora Duncan. Als die amerikanische Tänzerin
Duncan 1902 in der Wiener Secession auftritt, sucht
sie die Nähe zur neuen künstlerischen Bewegung. Sie
zeigt ihre Darbietungen auch im Künstlerhaus und
lehnt es ab, in Varietés zu tanzen. Die k. u. k. Hofoper
ihrerseits sperrt sich gegen einen Auftritt der Tänze-
rin auf der großen Bühne.
Aufschwung des modernen Tanzes nach 1918
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg werden erste
Schulen gegründet, in denen der freie Tanz unterrich-
tet wird.5 Sie sind teilweise auch während der Kriegs-
zeit aktiv. An Interessentinnen besteht kein Mangel,
zumal ein Großteil der Anwärterinnen aus der gehobe-
nen Gesellschaft kommt, die von den Kriegsereignis-
sen kaum betroffen ist. Während des Krieges treten
die Schwestern Wiesenthal immer wieder öffentlich
auf. Festgehalten sind einige dieser Tanzszenen u. a.
von der Fotografin Dora Kallmus (Madame d’Ora).6
Aber auch auf andere Weise treten die Schwestern
Wiesenthal öffentlich in Erscheinung. 1917, mitten
im Krieg, posiert Grete Wiesenthal für Modeaufnah-
men (Abb.
5). Wiesenthal trägt ein vom Grafiker Otto
Lendecke entworfenes und von der Wiener Werkstätte
geschneidertes Tanzkleid.7 Die nachgestellte Tanzsze-
ne ist im Atelier aufgenommen.8 Wiesenthal hat hier
gewiss nicht nur den Part der Tänzerin oder des Foto-
modells inne, ihr klingender Name soll vielmehr den
Verkauf der Kollektion fördern.
Kaum ist der Krieg zu Ende, tauchen neue Prota-
gonistinnen der tänzerischen Erneuerung auf. Nach
1918 kommt es in Wien zu einem fulminanten Auf-
stieg des modernen Tanzes. Diese Aufbruchstimmung
bleibt bis Anfang der 1930er Jahre ungebrochen. Die
Tanzszene knüpft allerdings nicht nahtlos an die Vor-
kriegszeit an. Die weitreichenden Erschütterungen,
die der Krieg mit sich bringt, schlagen sich im Tanz
deutlich nieder. Die traditionellen, etablierten Posen
und Körperideale werden zunehmend angezweifelt,
die Ordnung der Geschlechter verschiebt sich infolge
der Kriegswirtschaft grundlegend. Die Orte für die
Selbstdarstellung der Frauen haben sich geändert.
Die staatlichen Großtheater öffnen sich allmählich neuen künstlerischen Strömungen, im Klima der Er-
neuerung und des Umbruchs entsteht eine Reihe von
kleinen, alternativen Theater- und Tanzbühnen. Aber
auch im Tanz selbst gibt es neue Schwerpunkte. Der
„Freie Tanz“ der Vorkriegszeit weicht nun dem mo-
dernen „Ausdruckstanz“, der sich immer mehr von
literarischen und dramatischen Vorlagen entfernt
und stattdessen sehr stark mit Verfremdung, „Mecha-
nisierung“ der Bewegung, Montage und Abstraktion
arbeitet.9 Abb.
5 Die Wiener Tänzerin
Grete Wiesenthal
präsentiert
ein Tanzkleid.
Entwurf von Otto
Lendecke, Ausführung von der
Wiener Werkstätte. Die Damen-
welt, Heft 2, April
1917, S.
21.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang