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301Blütezeit
der Nacktkultur
esoterischen Zirkel, sie trifft sich mit anderen Tradi-
tionen der Nacktheit, etwa der proletarischen Nackt-
körperkultur, und wird in den 1920er Jahren zur
weithin anerkannten gesellschaftlichen Haltung.10
Sie taucht im Sport und der körperlichen Ertüchti-
gung ebenso auf wie auf der Bühne und später im
Film. Zwar haftet den Nacktauftritten im Theater im-
mer noch etwas Verruchtes an, zugleich aber mehren
sich die Stimmen, die die Entblößung des Körpers auf
der Bühne als legitimen Teil moderner Tanzkultur
verteidigen. In den frühen 1920er Jahren wird der
künstlerische Nackttanz große Mode. Die Stars der
raffinierten Entblößung wie Olga Desmond, Valeska
Gert oder Ruth St. Denis treten nun nicht mehr nur
in anrüchigen Vorstadtetablissements oder in priva-
ten Vorstellungen auf. Sie erobern selbstbewusst und
unter dem Beifall der Massen die etablierten Bühnen
der Stadt – und vor allem den Film. Einflüsse aus Ber-
lin schwappen bald auch auf Wien und andere Städte
über. Am 30. Oktober 1922 tritt Anita Berber mit ih-
rer grotesk-erotischen Show „Tänze des Lasters, des
Grauens und der Ekstase“ im Wiener Konzerthaus
auf. Die Szenen werden bereits vorab von Madame
d’Ora mit der Kamera festgehalten, aber nicht in der
Presse veröffentlicht.11
Ab 1923/24 sind Nacktszenen in Wien keine Sel-
tenheit mehr. Vor allem in den populären Ausstat-
tungsrevuen nach Pariser und Berliner Vorbild treten
in manchen Szenen die Tänzerinnen (fast) hüllenlos
auf. Vor allem im Apollo-Theater oder im Ronacher
werden solche Stücke gespielt, darunter zum Beispiel
die Revue „Wien gib acht!“, die 1923 zum Sensati-
onserfolg im Ronacher wird.12 Immer mehr Tänze-
rinnen, die ihre Hüllen auf der Bühne fallen lassen,
sind im Fotoatelier ebenso freizügig. Manche dieser
Aufnahmen erscheinen bald darauf in illustrierten
Zeitschriften und Magazinen. Die Zeitschrift Die Büh-
ne etwa bringt seit 1925 regelmäßig Nacktaufnahmen
von Tänzerinnen.
1924 erscheinen in den Wiener Illustrierten erst-
mals Aktfotos ohne distanzierenden Kommentar.
Abb.
7 „Schreitender Rückenakt“
– die Tänzerin Claire
Bauroff,
aufgenommen Ende der 1920er Jahre von
Trude Fleischmann. Das
deutsche Lichtbild 1931, Berlin 1930, S. 119.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang