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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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302 Wenn die Hüllen fallen · Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit Waren Akte bisher eher verschämt aufgenommen und oft nur unter dem Ladentisch verkauft worden, so gehen die Fotografen ab Mitte der 1920er Jahre in die Offensive. Auch renommierte Lichtbildner (da- runter erstaunlich viele Frauen) fotografieren nun regelmäßig weibliche Film- und Bühnenstars in frei- zügigen Posen. Zugleich verleihen sie diesen Sujets einen künstlerischen Anstrich. Zu den bekanntesten Wiener Fotografen, die sich mit der Aktfotografie beschäftigen, gehören Ernst Förster mit seinem Ate- lier „Adèle“, Josef Weitzmann, Juda Berisch Zimbler, Abraham Maier Schein und Franz Löwy, der in der Zwischenkriegszeit Ateliers in Wien, Karlsbad und Paris unterhält. Aber auch junge, kaum 30-jährige Fotografinnen, die ihre Karriere nach Kriegsende beginnen, expe- rimentieren mit der Inszenierung der Entblößung: Trude Fleischmann, die 1920 ein eigenes Atelier er- öffnet, daneben Edith Barakovich, Trude Geiringer und Dora Horovitz (Abb.  6), Grete Kolliner, Marianne Blumberger und vor allem Pepa Feldscharek, in de- ren Atelier auf der Fischerstiege im 1. Wiener Bezirk besonders häufig die Hüllen fallen. Nicht selten sind die Lichtbilder dieser jungen Frauen gewagter, ori- gineller, offener als jene ihrer männlichen Kollegen. Die Konventionen gelten ihnen weniger, sie probie- ren aus, wagen Neues. Sich vor Frauen zu entblößen fällt Tänzerinnen und Revuestars wie Claire Bauroff, La Jana (Henriette Margarethe Hiebel), Maria de las Nieves, Beate Roos-Reuter oder Leila Bederkhan of- fenbar leichter. Sie alle sind in den 1920er Jahren auf den Wiener Varieté- und Theaterbühnen zu Gast. Und viele von ihnen lassen sich anschließend im Atelier in freizügigen, erotischen Szenen verewigen. Skandalöse  Nacktfotos Besonderes Aufsehen erregen die Nacktszenen von Claire Bauroff. Bereits ihre tänzerischen Entklei- dungsszenen, etwa ihre Tanzpantomime „Das Licht ruft“ im Oktober 1924 im Theater in der Josefstadt erregt die Gemüter. „Claire Bauroff“, so schreibt der Kritiker der konservativen Reichspost, „geht in ihrer Kostümlosigkeit zuweilen weiter, als es der reinen dichterischen Absicht und ihrer Wirkung auf unser Großstadtpublikum dienlich ist.“13 Noch kontrover- ser ist die Reaktion auf die fotografischen Aktsze- nen Bauroffs, die 1925/26 in der auflagenstarken illustrierten Presse in Österreich und Deutschland verbreitet werden. Die Aufnahmen stammen von Trude Fleischmann, die die Tänzerin immer wie- der nackt fotografiert (Abb.    7). Ihre Inszenierungen wollen nicht voyeuristischen Tendenzen Vorschub leisten, sondern sind in den Augen Fleischmanns, aber auch Bauroffs künstlerische Darstellungen, gewissermaßen fotografierte Körperplastiken. Bau- roffs Körper, schreibt 1925 der Journalist und Film- kritiker Béla Balázs, „ist vom Scheitel bis zur Sohle Ausdrucksfläche. Ihre Physiognomie ist nicht aufs Gesicht beschränkt. Ihr ganzer Körper ist Gesicht. Ihre Glieder haben den Ausdruck von Augen. Jede Bewegung ist ein Blick. Ihr ganzer Körper sieht dich an: nackte Seele.“14 Dennoch: Die freizügigen Bilder werden in der Öffentlichkeit zum Anlass für einen Skandal. Als Bauroff 1925 im Berliner Varietétheater Admirals- palast auftritt, werden die Fotografien von Trude Fleischmann in den Vorschauvitrinen ausgestellt. Die Berliner Polizei schreitet ein und beschlagnahmt die Bilder, weil, so der Vorwurf, die Scham nicht ab- gedeckt sei.15 Das heizt das Interesse an den Szenen noch mehr an. Die nackte Bauroff wird zum Fall – vor allem in der illustrierten Presse, in der die beanstan- deten Fotos ohne Scheu veröffentlicht werden. In der Wiener Zeitschrift Die Bühne wird die „konfiszierte Claire Bauroff“ Anfang Oktober 1925 ausführlich dargestellt.16 Die Nacktaufnahmen Fleischmanns aus dem Jahr 1925 finden auch Eingang in Bildbän- de, etwa in die Publikation von Werner Suhr Der nackte Tanz, die 1927 erscheint. Hier allerdings ist die Scham gegenüber der Originalaufnahme deutlich retuschiert.17 Ein  neues  Korsett  der  „Sittlichkeit“ Ende der 1920er Jahre beginnt die freizügige Stim- mung in Wien umzuschlagen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die ins Konservative kippende politische Großwetterlage, der Druck einer moralisierenden Presse, die strikter werdende Gesetzgebung18 und
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Untertitel
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Autor
Anton Holzer
Verlag
Primus Verlag
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Abmessungen
23.0 x 29.0 cm
Seiten
498
Schlagwörter
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Kategorie
Medien

Inhaltsverzeichnis

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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