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326 Dramatische Nähe · Sport und Fotografie
Entscheidung über den Radfahrpreis nicht allein die
Radfahrerkreise, sondern die ganze Bevölkerung von
Wien in die erwartungsvollste Spannung und Aufre-
gung versetzt hat – so massenhaft war der Zudrang
des Publicums zu der Rennbahn im Prater. Alle Plät-
ze rings um den ausgedehnten Plan waren so dicht
gefüllt, daß keine Karten mehr ausgegeben werden
konnten, die Tribünen bis hoch hinauf besetzt, und
selbst dort auf jenen entlegenen Stellen, wo man bei
jeder Runde die Radfahrer nur vorüberfliegen sieht,
von der Entscheidung am Zeile aber nichts wahrzu-
nehmen vermag, starrte es von den Köpfen in vielen
Reihen übereinander. Und durch diese Menge gieng
(sic!) es manchmal, wenn ein spannender Endkampf
die Gemüther erhitzte, wie das Rauschen eines Stur-
mes und wie das Brausen der Brandung, so heftig war
die Aufregung, in welche die Massen durch dieses Sportspiel versetzt wurden.“12 Dem Bericht beigefügt
ist auch ein Porträt des Siegers Edmond Jacquelin,
das Huber erstmals nicht mehr im Atelier, sondern
im Freien aufgenommen hat (Abb.
12).
Bald nach 1900 treten weitere Fotografen auf, die
sich auf Sportereignisse spezialisieren (einige von ih-
nen haben wir bereits kennengelernt): Franz Pawlik,
Heinrich Schuhmann sen. und Carl Seebald. Kurz
vor dem Ersten Weltkrieg stoßen Josef Perscheid,
Josef Jahudka, Felix Schmal, Heinrich Uttenthaler
und Victor Brodt dazu. Letzterer ist nach dem Ersten
Weltkrieg Redakteur des Illustrierten Sportblattes und
interessiert sich als Fotograf vor allem für den Fuß-
ball und den Skisport.
Die herausragenden Figuren der Sportfotografie
vor 1914 sind zweifellos Carl Seebald und Heinrich
Schuhmann sen. (Abb.
13). Sie dominieren mit ihren
Bildern das Feld. Jedes Wochenende rücken sie aus,
um die Wettkämpfe in und um Wien in Bildern ein-
zufangen. So wie fast alle anderen Sportfotografen
dieser Zeit, widmen sie sich nicht ausschließlich den
Wettkämpfen, sondern halten daneben auch heraus-
ragende gesellschaftliche und soziale Ereignisse fest.
Als gute Pressefotografen haben sie einen Sinn für
aktuelle Bilder, die sich verkaufen lassen.
Die ersten Sportaufnahmen, die vor der Jahrhun-
dertwende entstehen, sind noch recht statisch, sie
zeigen keine schnellen Bewegungen und bewegte
Szenen. Bald aber werden die Apparate besser, die
Verschlusszeiten kürzer und das Können der Foto-
grafen nimmt zu. Diese rücken näher an die Prota-
gonisten heran, sie drücken dann auf den Auslöser,
wenn sie eine entscheidende, dramatische Szene vor
der Linse haben. Nach und nach treten an die Stelle
von distanzierten, visuell wenig interessanten Über-
blicksaufnahmen Schnappschüsse, die spannende
Augenblicke zeigen, etwa, um beim Fußball zu blei-
ben, turbulente Zweikämpfe vor dem Tor, gewagte
Einsätze des Tormanns, gefährliche Schüsse, inter-
essante Kopfbälle u. Ä.
Der Fußballsport ist für diese frühen Sportfoto-
grafen, fototechnisch gesehen, eine große Heraus-
forderung. Der Fotograf ist vom Spielfeld verbannt
und muss dennoch die Nähe zu den Spielern su-
chen. Das ist keine einfache Aufgabe in einer Zeit,
Abb.
12 Der Sieger des
Großen Preises von
Wien, der
Franzose
Edmond Jacquelin.
Das interessante Blatt,
17.
Sep-
tember 1896, S.
6. Foto: Anton
Huber.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang