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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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330 Dramatische Nähe · Sport und Fotografie neue Blätter gegründet. Auch Gesellschaftsmagazi- ne, die bisher ohne Sportrubrik ausgekommen sind, bringen nun immer wieder ausführliche Bildberichte. Nach 1918 kommt es zu einem Generationen- wechsel unter den Sportfotografen. Zwar sind nach wie vor einige Protagonisten der Vorkriegsfotografie aktiv, etwa Heinrich Schuhmann oder Carl Seebald, die auch unmittelbar nach dem Krieg Fußballspiele dokumentieren. Aber die Szene ist Anfang der 1920er Jahre von aufstrebenden jungen Fotografen wie Rü- belt, Franta, Brodt, Uttenthaler u. a. geprägt. Politisierte  Spiele Die Massenbegeisterung für den Fußball hat in der Zwischenkriegszeit eine dunkle Kehrseite. In den sportlichen Enthusiasmus mischen sich Patriotismus, Parteienkampf und Antisemitismus. Ein Spiel zwi- schen Rapid, der Austria oder der Admira und dem jüdischen Wiener Sportclub Hakoah ist in den 1920er und 1930er Jahren auch ein politisches Derby, in dem es nicht nur um spielerische Erfolge, sondern auch um die Losungen der Tagespolitik geht. Als die beiden Wiener Klubs Rapid und Hakoah Anfang Dezember 1927 einander gegenüberstehen und der jüdische Verein eine haushohe Niederlage einstecken muss, tritt der Antisemitismus in der Berichterstattung ganz offen zutage. „Welch ein Zu- sammenbruch!“, heißt es im Illustrierten Sportblatt.18 „Das 9 : 1-Resultat, mit dem am letzten Sonntag nicht gerade eine Elite-Rapid-Elf die Blau-Weißen (Hakoah, A. H.) auf dem Hakoah-Platz vernichtend schlug, ist mehr als ein Debakel, das Tageskonstellationen im Fußball mitunter schaffen können. Es ist der Schluß- punkt einer ungesunden Entwicklung, die innen und außen verzehrend am Marke der Krieauer fraß.“19 Die Niederlage sei, so heißt es im Artikel weiter, Aus- druck einer sportlichen und moralischen Krise. Ohne dass der Begriff „jüdisch“ fällt, wird deutlich, dass dieses Attribut im Zentrum der Begründung steht. Der Niedergang der Hakoah wird in der Folge als moralische Verirrung gedeutet, als Krankheit, als „Infektion“, als Folge materieller Hybris und ge- schäftlicher Gier. Das Vokabular bedient sich aller gängigen antisemitischen Vorurteile. „Hier ist seit langem ein Prozeß der Auflösung im Gang und sein dramatischer Knalleffekt lautet eben 9 : 1. Hakoah ist schon die längste Zeit krank. Ihr Verfall begann eigentlich schon mit dem Höhepunkte ihrer Erfolge. Ruhmvolle Siege verschleierten damals, daß das ge- sunde Prinzip sich aus eigener Kraft, den Platz an der Sonne zu erkämpfen, verlassen wurde. Fremde, bloß im Materiellen wurzelnde Spieler wurden ein- gestellt, sie infizierten die ‚Bodenständigen‘, (...) der Nachwuchs wurde vernachlässigt oder unkundigen Personen anvertraut und treue, von Idealismus erfüll- te Mitglieder abgestoßen. Neue Menschen tauchten auf, die Fußballkonjunktur brachte zum größten Teile Konjunkturelemente; persönliche Interessen und Ge- schäftsmomente traten in den Vordergrund. (...) Dann kamen die Amerikareisen. Sie endeten mit dem Ver- lust fast des gesamten erstklassigen Spielermaterials, während die meist unbeträchtlichen Dollardividenden in erster Linie auf Spieler und Reisebegleiter zur Aus- schüttung kamen.“20 An diesem Beispiel wird deutlich, dass der Antise- mitismus im Wiener Fußball bereits lange vor 1938 weitverbreitet ist, nicht nur aufseiten der Zuschauer, sondern auch in der Presse. Nach dem „Anschluss“ im Frühjahr 1938 wird aus den süffisanten Anspie- lungen plötzlich bitterer politischer Ernst. Jüdische Spieler werden verfolgt, deportiert und ermordet, Hakoah wird als Verein enteignet und zerschlagen. Auch bei den Fotografen trennen sich die Wege. Jüdische Fotografen erhalten keine Aufträge mehr, viele von ihnen verlassen das Land, andere werden deportiert. Mitläufer, Opportunisten und Parteigän- ger machen hingegen Karriere. Zu ihnen zählen die Sportfotografen Mario Wiberal, Anton Doliwa und Franz Blaha, die vom Regimewechsel profitierten. Zu ihnen gehört aber auch der Star der Sportfotografie dieser Jahre, Lothar Rübelt. Er hat, wie berichtet, nach 1933 bereits wiederholt in der gleichgeschalte- ten deutschen Presse veröffentlicht. Bei den Olym- pischen Spielen in Berlin 1936 ist er der einzige aus Österreich stammende Fotograf, der für die renom- mierte Berliner Illustirte Zeitung arbeitet. 1938 be- grüßt er die neuen Machthaber freudig, arrangiert sich schnell mit den neuen Redakteuren und Heraus- gebern und arbeitet weiter wie gewohnt.21
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Untertitel
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Autor
Anton Holzer
Verlag
Primus Verlag
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Abmessungen
23.0 x 29.0 cm
Seiten
498
Schlagwörter
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Kategorie
Medien

Inhaltsverzeichnis

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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