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338 Frauen hinter der Kamera · Die neuen Fotografinnen
nem Feuilleton, das den Titel „Die neue Frau“ trägt,
das Bild einer solchen „neuen Frau“ beigefügt ist. Das
Porträt der selbstbewussten Dame stammt von der
jungen Fotografin Edith Barakovich. Deren Karriere
entspricht ganz dem Bild dieser „neuen Frau“. Gebo-
ren 1896 in Zemun, in der Nähe von Belgrad, ist sie
als Jugendliche nach Wien gekommen. Hier besucht
sie die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt. Kaum
20-jährig, eröffnet sie im August 1918, also noch
während der letzten Kriegsmonate, in der Prinz-Eu-
gen-Straße 30 ein eigenes Fotoatelier – unter ihrem
Namen. Barakovich hat Erfolg: In der Zwischen-
kriegszeit gehört sie zu den bekanntesten Fotogra-
finnen Wiens. Sie spezialisiert sich auf Porträts des
gehobenen Bürgertums, sie fotografiert Schauspieler
und Filmstars und macht Mode- und Tanzaufnahmen.
Früh versteht sie es, ihre Bilder in der illustrierten
Presse unterzubringen (Abb.
9).
Mit ihrer Entscheidung, sich selbstständig zu ma-
chen, stößt Barakovich, ebenso wie andere junge Fo-
tografinnen dieser Zeit, nicht nur auf Zustimmung,
sondern auch auf Widerstand. Die älteren und konser-
vativeren ihrer männlichen Fotografenkollegen sehen
in der selbstbewussten Berufstätigkeit dieser Frauen
gleich die gesamte Fotografie bedroht. 1921 unter-
stellt der einflussreiche Wiener Fotograf und Foto-
publizist Hermann Clemens Kosel den jungen Foto-
grafinnen, dass sie „mit oberflächlichen, sinnlichen und posierten modelüsternen Auffassungen das Dir-
nentum ins Lichtbild“ gebracht hätten. Er wirft ihnen
vor, „den sittlichen Ernst der Kunst ins Abgeschmack-
te“ herabgezogen zu haben. Sein Fazit: „Nur wenige
Frauen haben den Ernst zu ihrem Berufe behalten.“11
Fotografinnen im
Blickpunkt
Ende Juli 1931 bietet sich den jungen Fotografin-
nen eine gute Gelegenheit, ihre Fotoarbeiten gemein-
sam auszustellen. In Wien wird zu dieser Zeit ein gro-
ßer Kongress der „Internationalen Vereinigung der
berufstätigen Frauen“ abgehalten. Begleitend dazu
findet in der Secession unter dem Titel „Die schaf-
fende Österreicherin“ eine Frauenausstellung statt.12
Für Architektur und Grafik sind die Architektin und
Designerin Liane Zimbler und deren Assistentin, die
Designerin Agnes (Kitty) Speyer, verantwortlich.13
Die Präsentation versteht sich als Werkschau, die
künstlerisches und nicht künstlerisches Schaffen
österreichischer Frauen gleichberechtigt nebenei-
nander zeigt und damit Frauenarbeit in der Gesell-
schaft sichtbar macht. Der Schau ist eine Foto- und
Bücherausstellung angegliedert, die von der Kunst-
historikerin und Journalistin Else Hofmann in enger
Kooperation mit der Wiener Fotografin Grete Kolliner
zusammengestellt wird. „Etwas Neues in seiner Art“,
schreibt Hofmann zum Konzept der Ausstellung,
„ist die Photo- und Buchschau, die den großen Mit-
telsaal der Secession einnimmt; hier versuchen wir
Werke und Bilder von Frauen, die sich nicht wie die
bildenden Künstlerinnen leicht durch Objekte dem
Beschauer offenbaren können, unseren Gästen in
klarer Übersicht zu zeigen.“14 Und weiter führt sie
aus: „Um etwas mehr zu geben als nur das Äußere,
so aufschlußreich es sein mag, haben wir auch die
Werke der österreichischen Frauen, literarische und
wissenschaftliche, politische und praktische Bücher
und Zeitschriften zusammengestellt. (…) Wir sind
nicht ohne Zuversicht, denn die Ausstellung wird
Eindrücke bieten, das Selbstbewußtsein der Frauen
steigern, Respekt der Frau vor Frauen erhöhen. Auch
dem Manne wird sie vielleicht manches sagen, vor al-
lem, daß es den Frauen ernst ist und daß viele ehrlich
und stark sind in der Leitung.“15
Abb.
9 Die Wiener
Schau-
spielerin Eva Geyer.
Münchner
Illustrierte Presse, 10.
Februar
1929, Titelseite. Foto: Edith
Barakovich.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang