Seite - 349 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Bild der Seite - 349 -
Text der Seite - 349 -
349Aufbruchstimmung
um 1930
über nordrussische Buchmalerei, Frischauer über
den altspanischen Kirchenbau.14 Die beiden jungen
Kunsthistoriker schließen sich nach ihrem Studium
nicht in ihre akademische Arbeitswelt ein, sondern
melden sich als Journalisten und Kritiker engagiert
und kenntnisreich zu Wort. Sie berichten nicht nur
über die moderne Fotografie, sondern auch über an-
dere Entwicklungen der Kunst und des Kunstgewer-
bes. Beide stehen den Ideen des Werkbundes sehr
offen gegenüber. Ihre Berichterstattung über die mo-
derne österreichische Fotografie beginnt um 1928. Ih-
nen ist es unter anderem zu verdanken, dass die inte-
ressantesten österreichischen Vertreter der modernen
Fotografie ihren Weg in die Öffentlichkeit finden.
Mitte der 1930er Jahre verstummen sie. Dies ist
kein Zufall, sondern hat mit den gesellschaftlichen
Umbrüchen dieser Zeit zu tun. Die moderne Kunst,
die sie propagieren, gerät zunehmend in die Defen-
sive, ihre Arbeit als Kritiker wird im austrofaschisti-
schen „Ständestaat“ schwieriger. Beide sind erklär-
te Gegner des diktatorischen Regimes. Born und
Frischauer sind jüdischer Herkunft und daher dem
in den 1930er Jahren zunehmenden Antisemitismus
ausgesetzt. Um diesem einengenden, repressiven, an-
tisemitischen Klima zu entgehen, entschließen sich
die beiden, das Land zu verlassen. Wolfgang Born
emigriert 1937 in die USA. Dort arbeitet er als Ma-
ler, Buchillustrator und Kunsthistoriker, zunächst am
Queens College, dann, ab 1948, am City College in
New York. Er stirbt 1949.15 Alma Stefanie Frischauer
verlässt im Dezember 1937 das Land und geht zu-
nächst nach England, dann, 1952, in die USA. 1959
nimmt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft an,
dann verlieren sich ihre Spuren.16
Aufbruchstimmung
um 1930
Die Ausstellung „Film und Foto“ markiert einen
folgenreichen Einschnitt in der Neuausrichtung der
Fotografie. Sie ist Bezugspunkt und Katalysator für
eine neue Art, Fotografie zu verwenden und öffent-
lich zu präsentieren. Eine ganze Reihe junger Foto-
grafen greift diese Anregungen auf. Unter ihnen ist
der Schweizer Martin Imboden, der die Ausstellung
„Film und Foto“ bereits in Stuttgart gesehen hat und seit 1929 in Wien lebt.17 Er entwickelt – beeinflusst
von der Neuen Sachlichkeit – ein modernes Konzept
des Porträts, das die Gesichter (meist von Frauen) in
ungewohnt engen, frontal aufgenommenen Bildaus-
schnitten zeigt (Abb.
4). Daneben entstehen Tanzstu-
dien und Reisebilder, die in der illustrierten Presse
veröffentlicht werden. Als Imboden im August 1935
bei einem Unfall stirbt, widmet ihm die Zeitschrift Die
Bühne einen Nachruf, in dem auch seine Frauenpor-
träts Erwähnung finden. „Bekannt waren vor allem
Imbodens Mädchenbilder. Er war ein Poet und seine
Kamera hat stets jene jungen Mädchen gefunden, die
noch in einem anderen Sinn schön waren als nur vom
Standpunkt des Photoschönen aus.“18 Abb.
4 „Armenierin“. Die Büh-
ne, Erstes Oktoberheft 1935,
S.
29. Foto: Martin
Imboden.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang