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362 Die kurze Zeit der Avantgarde · Fotografische Aufbrüche um 1930
fäschlicherweise mit „ph“ schreibt (Photo). Das ist
vermutlich weniger ein Tippfehler als vielmehr ein
subtiler Seitenhieb auf die in seinen Augen allzu
radikalen Anhänger der Moderne. Zwar rechnet er
sich durchaus den gemäßigt modernen Fotografen
zu, lehnt aber „Exzesse“ entschieden ab. 1933, zu
einem Zeitpunkt, als die Avantgarde längst auf dem
Rückzug ist, zieht er Bilanz: „Das schnelle Ende der
übertriebenen Sachlichkeit beweist klar und eindeu-
tig, daß derartige Sensationen nicht von Dauer sein
können (...).“35 In seinem verbalen Rundumschlag
lässt er kein gutes Haar an den neuen Strömungen
der Fotografie. Das bedeutet freilich nicht, dass er
die Anregungen der Neuen Sachlichkeit gänzlich
ignoriert hätte. Um 1930 entscheidet er sich, insbe- sondere bei seinen Auftrags- und Werbeaufnahmen,
für eine Verbindung von kunstfotografischem und
sachlichem Stil.36
Karnitschnigg ist nicht der einzige Kritiker, der
um 1930 die handwerklich gediegene, konservativen
Grundsätzen verpflichtete Kunstfotografie gegenüber
den radikalen Neuerungen in der Fotografie in Schutz
nimmt. Ihm zur Seite stehen zahlreiche andere Fo-
tografen, Publizisten und Fotofunktionäre. Auch sie
melden sich in teils aggressiver Weise gegen die neue
Fotografie zu Wort. Heinrich Kühn etwa, der Altmeis-
ter der österreichischen Kunstfotografie, geißelt kurz
nach der Wiener FiFo-Aussstellung im renommierten
Jahrbuch Das deutsche Lichtbild die „umstürzlerische
Tendenz“ der „modernen Sachfotografie“.37 Die Foto-
montage erinnere ihn „manchmal zynisch an das
Brutale, Aufreizende und doch wieder Blöde einer
Jazzmusik“. Die moderne Fotografie vermittle den
„Gesamteindruck (…) von Verworrenheit, Unruhe
und, in manchen Fällen, auch der Ratlosigkeit“.38
Ebenfalls ablehnend gegenüber der fotografischen
Avantgarde äußern sich die maßgeblichen Vertreter
der Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt,
der wichtigsten österreichischen Ausbildungsstätte
für Fotografen. Sowohl ihr Direktor, Rudolf Junk, als
auch der bekannteste unter den Professoren, der Fo-
tograf Rudolf Koppitz, der einer gemäßigt modernen
kunstfotografischen Richtung angehört, weisen die
Konzepte der Avantgarde vehement zurück. Beson-
ders nachhaltig und konsequent wird die Avantgar-
defotografie in den meisten Fachjournalen verdammt,
die sich an die Amateure richten. Einer der Wort-
führer gegen die „Auswüchse der Moderne“ ist der
Fotopublizist und Amateurfotograf Hans Hannau. In
seiner 1933 gegründeten Zeitschrift Der Lichtbildner
zieht er regelmäßig gegen die moderne Fotografie zu
Felde. Ähnliche Positionen finden wir auch in ande-
ren Fachzeitschriften, etwa in der Allgemeinen Pho-
tographischen Zeitschrift oder in der Kamera-Kunst.
Neben den Fotografen und Publizisten Erwin Sajdok
und Hugo Haluschka wird Hannau zu einem der
wichtigsten publizistischen Wegbereiter der öster-
reichischen Heimatfotografie. Diese avanciert in den
1930er Jahren zum politisch-ideologischen wie ästhe-
tischen Gegenentwurf der Avantgarde.
Abb.
17 „Mittag im April“. Die
Bühne, Erstes Aprilheft
1932,
S.
4. Foto: Nikolaus
Schwarz.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang