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375Protagonisten
der Heimatfotografie
verkehrsamtes „heimatliche“ Landschaften. Auch sie
setzt, ebenso wie viele andere Heimatfotografen, ihre
fotografische Karriere unter dem Nationalsozialismus
bruchlos fort.23
Die österreichische Heimatfotografie der 1930er
Jahre ist, bei aller Ähnlichkeit mancher Inszenie-
rungen und Motive, kein homogenes Genre. Neben
Fotografen, die sich beinahe ausschließlich diesem
Thema widmen, gibt es unter den Amateuren zahl-
reiche Lichtbildner, die sich öfter Heimatthemen
zuwenden, daneben aber auch andere Interessen
zeigen. Auch die Bildlösungen variieren. Sie reichen
von anspruchslosen, pathetischen, erdverbundenen
Landschafts-, Genre- und Brauchtumsszenen, etwa
von Willi Jungmeier (Abb.
13), Oswald Elbl, Hermann
Brühlmeyer, Hans Hannau, Didier Jellinek-Mercedes,
Marian Schwabik, Elly Rauch, Ursula Scholz oder
Franz Swoboda, bis hin zu Inszenierungen, die die
Landschaft nicht ausschließlich als ideologisches
Refugium sehen. Fotografen wie Heinz von Perck-
hammer, Harald Lechenperg, Trude Fleischmann,
Lothar Rübelt (Abb.
14), Willy Eggarter, Hans Pop-
per, Hans Casparius u. a. pendeln gekonnt zwischen
den Genres. Sie fotografieren heimatliche, erhabene
Landschaften und bäuerliches Brauchtum ebenso wie
Reisemotive, Stadtbilder oder Sportereignisse.
Auch wenn die Heimatfotografie der 1930er Jahre
mehrheitlich konservative Anliegen vertritt, gibt es
doch auch Ausnahmen. In einer Zeit, da die Großstadt
mit negativen Assoziationen belegt ist (Arbeitslosig-
keit, politische Unruhe, Lärm, Schmutz etc.), avan-
ciert das Thema „Land und Leute“ zum attraktiven
gesellschaftlichen Gegenentwurf – und zwar weit
über die politischen Grenzziehungen hinaus. Auch
liberale und sogar linke Fotografen (etwa Nikolaus
Schwarz oder Rudolf Spiegel) wenden sich in den
1930er Jahren gelegentlich dem Landleben zu.24 Sie
fotografieren freilich nicht knorrige Tiroler Berg-
bauern in Untersicht, sondern zeigen andere, wider-
sprüchlichere Facetten des ländlichen Lebens und
Arbeitens.
Als ein Beispiel für eine andere, kaum bekannte
„Heimatfotografie“ mag eine Arbeit von Otto Koenig
dienen, der später als Verhaltensforscher, Autor und
Fernsehpräsentator bekannt wird. Der junge Fotograf, der 1936 als 22-Jähriger die Graphische Lehr- und
Versuchsanstalt in Wien absolviert hat, beginnt Mitte
der 1930er Jahre Fotoreportagen in der illustrierten
Presse zu veröffentlichen. Im September 1936 er-
scheint im Sonntag eine Reportage unter dem Titel
„Die vom Heidboden“.25 (Abb.
15) Sie schildert in
Text und Bild (beide von Otto Koenig) die beschwer-
lichen Lebens- und Arbeitsbedingungen der kleinen
burgenländischen Bauern. „Viel zu wenig Land haben
die Bauern der Heide: da ein Joch, dort ein Joch, zer-
rissen, zerstreut, trotz der so weiten einigen Fläche!
Denn der Großteil des Bodens gehört nicht den Hein-
zendorfern, sondern den Gutshöfen. Und die gehören
alle einer Herrschaft.“26 Das Leben dieser Bauern be-
steht aus viel Arbeit und wenig Lohn. „Ganz früh“,
so schreibt Koenig weiter, „wenn noch letzte Sterne Abb.
13 Andacht. Das schöne
Lichtbild, Wien, München o. J.
(1936/37), S.
41. Foto: Willi
Jungmeier.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang