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394 Fotografisches Feuilleton · „Der Sonntag“: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie
somit, wie Oplatka auch, tschechischer Herkunft, al-
lerdings ist er knapp drei Jahrzehnte älter als dieser.
Seit 1920 lebt Skall in Wien und beginnt Mitte der
1920er Jahre, unter dem Einfluss des Neuen Sehens,
zunächst als Amateurfotograf zu arbeiten. 1930 ist
er mit seinen Aufnahmen in der Ausstellung „Film
und Foto“ vertreten, die in diesem Jahr Station in
Wien macht. Wenig später, 1931, erscheinen seine ersten Arbeiten in der illustrierten Presse, etwa im
Kuckuck und im Interessanten Blatt, wo er erste Re-
portagen und originelle, geradezu konzeptuell ge-
staltete Bild-Text-Geschichten publiziert.37 Er verfolgt
einen nüchtern-sachlichen Stil und präsentiert seine
Themen oft mit Augenzwinkern und voll hintergrün-
digem Humor. 1933 beginnt er als professioneller
Pressefotograf zu arbeiten. Er ist in den 1930er Jah-
ren einer der bedeutendsten österreichischen Thea-
terfotografen. Daneben dokumentiert er aber auch
Alltags- und Straßenszenen, macht experimentelle
Aufnahmen, fotografiert hie und da Architektur und
liefert Sozial- und Reisereportagen. Bei seinen Außen-
aufnahmen arbeitet er häufig mit einer Contax.
Für den Sonntag stellt Skall regelmäßig Fotore-
portagen zu alltäglichen Themen zusammen. Im
Mai 1935 etwa liefert er unter dem Titel „Fridolins
erste Liebe“ einen Bildbericht über die Schweizer
Ausdruckstänzerin Trudi Schoop, die auf der Titel-
seite beginnt (Abb.
11) und im Innenteil fortgesetzt
wird.38 Er fotografiert ab 1934 Jahr für Jahr bei den
Salzburger Festspielen, macht Theater- und Opern-
aufnahmen, fotografiert Thomas Mann für ein gro-
ßes Sonntag-Interview, das im Januar 1937 in Wien
aufgezeichnet wird39, und liefert die Bilder für eine
mehrteilige Reisegeschichte, die im August 1935 un-
ter dem Titel „Zu zweit an die Grenzen Europas“ be-
ginnt und entlegene Regionen vorstellt.40
Der Text zur Fotoreportage über die Tänzerin Tru-
di Schoop stammt von Gustav Wiesinger. Wer sich
hinter diesem Pseudonym verbirgt, enthüllt eben-
falls Bil Spira. Er erinnert sich, dass Otto Skall ein-
mal eine gute Fotoreportage in die Redaktion brachte
und Oplatka bedauerte, keinen brauchbaren Texter
für sie zu haben. Dieser meinte: „‚Ohne einen Arti-
kel kann ich die Photos nicht bringen. Versuchen Sie
selbst etwas Interessantes dazu zu schreiben. Wenn
Sie’s nicht zustande bringen, versuchen Sie jemanden
dafür zu finden!‘ Am Tag darauf brachte Skall ein drei
Seiten langes Manuskript. Oplatka gefiel es. ‚Wer hat
das geschrieben?‘ ‚Meine Frau.‘ Gusti Skall hatte erst
kürzlich auf dem Flohmarkt eine Schreibmaschine er-
standen. Auf der übte sie fleißig, und dieser Artikel
war der erste, den sie je geschrieben hatte. Oplatka
fand das lustig. ‚Ich glaube, wir haben eine gute Mit-
Abb.
11 „Fridolins erste
Liebe“. Fotoreportage über die
Schweizer
Ausdruckstänzerin
Trudi Schoop. Der Sonntag,
19.
Mai 1935, Titelseite. Fotos:
Otto Skall.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang